Polly Jean Harvey
Geburtstag: | |
Klassifikation: | |
Nation: |
|
Geburtstag: | |
Klassifikation: | |
Nation: |
|
Pop-Archiv International
Einordnung Polly Jean Harvey begann ihre musikalische Karriere 1988. Seitdem wurde es mit ihr selten langweilig. Anfangs schrieb sie wütende, krachende Songs, die ihr zuweilen den Ruf einer "bärbeißigen Schwerenöterin" ("ME Sounds", # 2/1999) einbrachten. Später ließ sie es dann auch mal ruhiger angehen. Ihr ist es wichtig, sich punktuell immer wieder neue Reize zu setzen.
Herkunft Polly Jean Harvey wurde am 9. Oktober 1969 in dem Dorf Corscombe unweit der kleinen Stadt Yeovil in der Grafschaft Dorset/Westengland geboren. Durch ihre Eltern, beide künstlerisch tätig und politisch links orientiert, bekam sie schon früh Zugang zur Musik. Ihre Mutter vermittelte jungen, noch unbekannten Rhythm & Blues-Bands Auftritte in den örtlichen Klubs, und so hatten die Harveys häufig Musiker zu Besuch, die Polly manchmal Saxofon- oder Gitarrenstunden erteilten.
Im Alter von 17 Jahren verließ sie die Schule, kaufte sich eine Gitarre und begann, eigene Songs zu schreiben. Eine erste dreiköpfige Band wurde gegründet. Bei einem ihrer Auftritte in einem lokalen Klub wurde John Parish, Frontmann von AUTOMATIC DILAMINI, auf Polly aufmerksam und lud sie in seine Band ein, bei der sie auch vier Jahre lang blieb und bei drei Singles und einem Album beteiligt war. In dieser Zeit sang sie zwar nicht sehr oft, aber sie verbesserte ihr Spiel auf der Gitarre und verfasste nebenbei eigene Stücke.
Debütalbum 1990 gründete H. zusammen mit Rob Ellis (dr) und Stephen Vaughan (b) die Gruppe PJ HARVEY. Sie zog nach London und schrieb dort Songs und Texte für ihr Debütalbum. Als ihre neue Band im "White House" in Hampstead auftrat, wurde sie von dem Londoner Indie-Label "Too Pure" entdeckt und unter Vertrag genommen. Bereits mit ihren ersten beiden Singles "Dress" und "Sheela-Na-Gig" versetzten PJ HARVEY Hörer und Kritiker gleichermaßen in Begeisterung. Die energiegeladene, kraftvolle Musik und der expressive, raue Gesang H.s erinnerte an Musikerkolleginnen wie Chrissie Hynde oder an die THROWING MUSES. Die Aufnahmen für ihr Debüt "Dry" fanden in den "Icehouse"-Studios in Yeovil statt. "Dry" bekam beste Kritiken und landete ganz vorne in den Indie-Charts.
Frustriert war die bei Live-Auftritten meist ganz in Schwarz gekleidete H. von den auf Oberflächlichkeiten geprägten Medieneinschätzungen. Hinzu kamen private Probleme, sodass sie im Sommer 1992 beschloss, von London nach Dorset zurückzukehren. Dort begann sie, Lieder und Texte für ein neues Album zu verfassen und trat bei Singles von GRAPE und THE FAMILY CAT als Gastsängerin in Erscheinung.
Noch kompromissloser Auf dem zweiten Werk, "Rid Of Me", das 1993 auf "Island" erschien, verarbeitete H. ihre Erfahrungen, die sie in London gemacht hatte. Produziert hatte Steve Albini, der u. a. auch schon mit BIG BLACK,
Im Spätsommer 1993 verließ Schlagzeuger und Gründungsmitglied Rob Ellis, offensichtlich des intensiven Tourens überdrüssig, die Band. Trotz wachsender Popularität wurde das feste Bandformat aufgelöst. Stattdessen plante H., bei künftigen Produktionen mit unterschiedlichen Musikern zu arbeiten. Kurz danach erschien "4-Track Demos", eine CD mit Demoaufnahmen (H. solo mit akustischer Gitarre und Gesang) zum "Rid Of Me"-Album.
Auszeichnung und kleinere Projekte1995 folgte "To Bring You My Love", H.s bis dahin intensivstes und persönlichstes Album. Sie spielte Streicher, Keyboards, Percussions und Vibrafon selbst ein. Passend zu den schonungslos offenen Texten waren ihre theatralischen Auftritte, "wo sie als Femme fatale auf dem Podest posierte" ("ME Sounds", # 2/1999). Die Begeisterung seitens der Fans und der Presse wuchs abermals. "To Bring You My Love" wurde von vielen Magazinen zum Album des Jahres auserkoren.
In der Folgezeit kümmerte sich die vielseitige Künstlerin um kleinere Projekte. So schrieb sie zum ersten Mal in ihrer Karriere Texte für einen anderen Musiker - nämlich für John Parishs Tanzprojekt "Dance Hall At Louse Point", das mithilfe von Mark Bruce auch auf der Bühne umgesetzt wurde (mit den Musikern H. und Parish). Sie unterstützte zudem befreundete Musiker wie Pascal Comelade, ihren damaligen Freund
"Is This Desire?" 1988Nach einer Single-Auskopplung ("A Perfect Day Elise") folgte im September 1998 das Album "Is This Desire?". Aufgenommen wurde es in Dorset und in London unter der Mitwirkung von Multiinstrumentalist Eric Drew Feldman (
Awards und sechstes Album Das Jahr 1999 begann für H. relativ gut, obwohl sie bei Tierschutzorganisationen für Entrüstung sorgte, als sie sich in der britischen Presse als Befürworterin der Fuchsjagd bekannte. Im Januar erhielt sie für ihren Song "Is This Desire?" einen
Das sechste Studioalbum schrieb sie im Laufe des Jahres 2000 zusammen mit Rob Ellis und Mick Harvey. Es trägt den Titel "Stories From The City, Stories From The Sea". Die Songs entstanden zum einen in den Metropolen New York und London, zum anderen in Dorset. Die "taz" (3.11.2000) attestierte ihr einen "Abschied von der Selbstentblößung". Die einstige Rebellin hielt sich ein wenig mehr zurück und agierte bedachter, zum Beispiel in der verträumten Ballade "Horses In My Dreams", dem modernen Pianostück "We Float" oder in "This Mess We're In", einem Duett mit
Noch im gleichen Jahr wurde "Stories From The City, Stories From The Sea" mit dem britischen "Mercury Music Prize" gekürt. Dieser Musikpreis ging zum ersten Mal an eine Frau. Im Dezember kündigte H. an, das folgende Werk solle sehr düster ausfallen. Sie hatte bereits erste Song-Ideen gesammelt.
Lammfrommes AlbumDas angekündigte Album ließ auf sich warten. Erst nach einer Festivaltournee im Sommer 2003 schloss H. die Studioarbeiten ab. Bis dahin hatte sie den Vorgänger intensiv betourt, an neuen Songs geschrieben und die restliche Zeit genutzt, an Titeln beziehungsweise Alben von Kollegen und Kolleginnen mitzuwirken. So ist sie auf "It's A Wonderful Life" von SPARKLEHORSE, auf "How Animals Move" und dem Soloalbum von John Parish sowie auf dem
Im Juni 2004 kam H.s neues Album in die Läden. "Uh Huh Her" war von ihr im Alleingang geschrieben und produziert worden. Lediglich am Schlagzeug saß ihr langjähriger Weggefährte Rob Ellis. Produktionstipps nahm sie von Head (
Parallel zu der Veröffentlichung von "Uh Huh Her" ging H. auf Festival-Tour in Europa und den USA. Insgesamt dauerte die Welttournee etwas länger als ein halbes Jahr. Ihre Liveband bestand aus Dingo (b), Josh Klinghoffer (g) und Rob Ellis (dr).
Weitere Alben und Tournee 2009 Im November 2006 erschien ein weiteres Album, "The Peel Sessions 1991-2004", von H. In Gedenken an "BBC Radio 1"-DJ John Peel, der im Oktober 2004 65-jährig verstarb, wählte sie aus ihren Peel-Sessions zwölf Songs aus. Ein jeder unterscheidet sich von der Studioversion, da er mit minimaler Besetzung eingespielt wurde und im direkten Vergleich roher und natürlicher klingt. Zudem verwandelte sie sich in eine hysterisch schreiende Frontfrau ("Naked Cousin", "Snake"). Ebenfalls 2006 kam ihre erste DVD "PJ Harvey On Tour: Please Leave Quietly" auf den Markt.
H. hielt sich in diesem Jahr öfter in Los Angeles auf, wo sie in der Band von Moris Tepper, der einst Mitglied von CAPTAIN BEEFHEART'S MAGIC BAND war und 2004 im Vorprogramm von H. zu sehen war, Bass spielte.
Mittlerweile hatte sie mit dem Komponieren neuer Songs begonnen. Die nahm sie dann binnen fünf Monaten mit Produzent Flood und John Parish auf. Das dazugehörige Studioalbum erschien im Herbst 2007 unter dem Titel "White Chalk". Gäste im Studio waren u. a. John Parish sowie Eric Drew Feldman (Ex-CAPTAIN BEEFHEART) und Jim White (THE DIRTY THREE). Auf "White Chalk" (US # 65, UK # 11, D # 54) präsentierte H. im Vergleich zu früher wesentlich ruhigere Titel. Das "Reduzierte, Entzerrte" lasse ihre "harten Worte ( ... ) nur noch unbarmherziger klingen", so "SPIEGEL Online" (18.9.2007).
Nach zwei Konzerten in den USA (Oktober) sowie je einem Gig in Paris (November) und Dublin (Dezember) tourte H. im Februar 2008 durch Australien. Allerdings gab sie 2008 nur sehr wenige Konzerte - insgesamt zwölf an der Zahl.
Das änderte sich 2009, als H. gemeinsam mit John Parish erst durch Großbritannien, dann über das europäische Festland und nahezu im direkten Anschluss durch die USA tourte. Anlass für diese zahlreichen Konzerte war die Veröffentlichung ihres gemeinsamen Albums "A Woman A Man Walked By" (März 2009). Dieses war eine Hinwendung zum alten Sound H.s - zu Chaos, Wut und Exzentrik. Statt wie auf dem Vorgängeralbum "White Chalk" mit Piano, Zither und Akustikgitarre auf leisen Sohlen zu wandeln, wird auf "A Woman A Man Walked By" gerockt.
Gastdesignerin und "Let England Shake" 2010 gab H. keinerlei Konzerte. Untätig war sie allerdings nicht. So fungierte sie für das Literaturmagazin "Zoetrope: All-Story", herausgegeben von Regisseur
Außerdem nahm sie im April und Mai mit Flood, John Parish und Mick Harvey in einer aus dem 19. Jahrhundert stammenden Kirche in Dorset ihr nächstes Studioalbum "Let England Shake" auf, das Mitte Februar 2011 das Licht der Welt erblickte und fast überall gefeiert wurde. So gab es im britischen "New Musical Express" (9.2.2011) zehn von zehn Punkten. Thematisch geht es auf der Platte, die vom Klang der Autoharp, einer Art Zither, dominiert wird und in über zweieinhalb Jahren entstanden war, um Englands Kriegstreiberei: um "die nationale Identität, um den Missbrauch des Patriotismus, um die Schlacht von Gallipoli im Ersten Weltkrieg und den aktuellen Militäreinsatz in Afghanistan", schrieb ("FAZ", 12.2.2011). Und weiter: Das teils federleicht klingende Ergebnis erinnert in "nachdenklichen Momenten an traditionelle Folk-Weisen, während an anderer Stelle eine knurrende E-Gitarre den Zorn der Jugend heraufbeschwört".
Noch im selben Monat wurde bekannt, dass H. im Rahmen der Verleihung der 2011er "Shockwaves NME Awards" den "Outstanding Contribution To Music Award" überreicht werden sollte. Es blieb nicht der einzige Preis in jenem Jahr, denn im September wurde "Let England Shake" mit dem "Mercury Music Prize" für das "Beste britische Pop-Album des Jahres" ausgezeichnet. Als erste Künstlerin erhielt H. den mit 20.000 Pfund dotierten Preis bereits zum zweiten Mal in ihrer Karriere.
"Member Of The Order Of The British Empire" Im Juni 2013 wurde anlässlich des Geburtstages von Königin
Im April 2016 erschien der "Let England Shake"-Nachfolger "The Hope Six Demolition Project". Produzenten waren John Parish, Mark Ellis alias Flood (u. a.
Öffentliche Aufnahmen In Lieder umgewandelt wurden ihre Bilder im Rahmen der öffentlichen Ausstellung "Recording In Progress" im "Somerset House" in London. Zwischen dem 16. Januar und 14. Februar 2015 nahm sie mit ihrer Band sowie ihren Produzenten und Tontechnikern hinter einer Glaswand von dienstags bis samstags in jeweils täglich zwei 45-minütigen Sessions die Songs auf, die auf "The Hope Six Demolition Project" landeten. Der Auftakt, "The Community Of Hope", ist eingängiger, beschwingter Indierock, wie man ihn von H. kennt. Das ist aber nur eine Facette dieses Albums. "The Ministry Of Defence" erscheint im direkten Vergleich dank seines Stakkato-Rhythmus bedrohlicher und obendrein verspielter. Der Gesang wechselt zwischen H. und einem Chor hin und her. Dazwischen ertönt ein männlicher Sprechgesang. H. ist hier auch am Saxofon zu hören. Das Instrument taucht fortan öfters auf: etwa in "A Line In The Sand", ein Song, in dem sie ihre Stimme in höchste Höhen schraubt. Sie übertreibt es mit dem Saxofon höchstens in der zweiten Hälfte des bluesig-jazzigen "The Ministry Of Social Affairs". Dafür offenbart das Album gleich mehrere Glanzstücke, allen voran die hymnenhaften Lieder "Near The Memorials To Vietnam And Lincoln", "The Orange Monkey" und "The Wheel".
"The Hope Six Demolition Project" erreichte einige hohe Chartplatzierungen (UK # 1, SCO # 1, IR # 2, FRA # 5, D # 11) und fand sich in einigen Jahresbestenlisten wie "Mojo" (# 9 in "The 50 Best Albums Of 2016"), "Chicago Tribune" (# 6 in "Top Albums Of 2016"), "Q" (# 3 in "The 50 Best Rock Albums Of 2016") und "Uncut" (# 6 in "Top 75 Best Albums Of 2016") wieder. Die Welttournee zum Album mitsamt Band erstreckte sich bis weit ins Jahr 2017 hinein.
Im März 2018 gastierte sie in dem John-Parish-Song "I'm Sorry For Your Loss", eine Hommage an den SPARKLEHORSE-Frontmann Mark Linkous, der sich 2010 das Leben genommen hatte. Parish hatte das 2001er SPARKLEHORSE-Album "A Wonderful Life" mitproduziert.
Berlinale 2019 und Soundtracks Anfang 2019 wurde der Dokumentarfilm "A Dog Called Money" auf der "Berlinale" gezeigt. Drehbuchautor, Fotograf und Regisseur Seamus Murphy hatte H. beim Komponieren und bei den Aufnahmen der "The Hope Six Demolition Project"-Songs begleitet. Er zeigt sie bei der Arbeit in ihrem Studio in London sowie bei gemeinsamen Reisen nach Afghanistan, in den Kosovo und nach Washington.
Am 14. Juni 2019 erschien der Soundtrack zur TV-Serie "The Virtues" (Channel 4), auf dem neben fünf bekannten H.-Songs auch das neue Lied "The Crowded Cell" zu hören ist. Für die Bühnenadaption von "All About Eve" (Regie:
Zwischen Juli 2020 und März 2022 veröffentlichte H.s ehemaliges Label "Island" in Kooperation mit der "Beggars Group", einem Zusammenschluss von Indielabels (u. a. "PIAS" und "Rough Trade Records"), Alben mit Demosongs zu ihren Werken "Dry" (1992), "To Bring You My Love" (1995), "Is This Desire?" (1998), "Stories From The City, Stories From The Sea" (2000), "Uh Huh Her" (2004), "White Chalk" (2007), "Let England Shake" (2010) und "The Hope Six Demolition Project" (2016). Die Originalalben wurden parallel auf Vinyl wiederveröffentlicht. Außerdem erschien im November das sechs LPs bzw. drei CDs umfassende Boxset "B-Sides, Demos & Rarities", auf dem von den 59 Songs 14 bis dahin unveröffentlicht waren.
Buchveröffentlichung und zweites AlbumIm April 2022 veröffentlichte H., nach Mentoring durch den schottischen Dichter Don Paterson, ihr Buch "Orlam". Auf ihrer Homepage erklärte sie, es sei "das Produkt mehrjähriger intensiver Schreibarbeit und das erste vollständige Buch, das seit vielen Jahrzehnten im Dorset-Dialekt geschrieben wurde" ("https://pjharvey.net", 28.4.2022). Danach arbeitete sie mit Tim Phillips am Soundtrack für die Serie "Bad Sisters" ("Apple TV+"; VÖ: Oktober 2022). Sie coverten u. a.
Ende April 2023 kündigte H. mit der ersten Auskopplung, "A Child's Question, August", ihr erstes Studioalbum für das englische Label "Partisan Records" (u. a.
Innerhalb von drei Wochen entstanden die Songs des Albums, die sie mit Parish und Flood in den Londoner "Battery Studios" aufnahm. Für September/Oktober kündigte H. eine UK- und Europatournee an.
Polly Jean Harvey (voc, g), Rob Ellis (dr, voc), Stephen Vaughan (b)
c/o Universal Music, Stralauer Allee 1, 10245 Berlin, Internet: www.pjharvey.net, www.pollyharvey.co.uk