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Klaus Tolksdorf

deutscher Jurist; Präsident des Bundesgerichtshofs (2008-2014); Prof.; Dr. jur.
Geburtstag: 14. November 1948 Gelsenkirchen
Nation: Deutschland - Bundesrepublik

Internationales Biographisches Archiv 36/2013 vom 3. September 2013 (fl)
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 21/2014


Blick in die Presse

Herkunft

Klaus Tolksdorf wurde am 14. Nov. 1948 in Gelsenkirchen geboren. Sein Vater Herbert war Vizepräsident des Bundeskriminalamts. T. wuchs zunächst in Münster und nach Amtsantritt seines Vaters in Wiesbaden auf.

Ausbildung

Nach dem Abitur in Wiesbaden (1967) besuchte T. die Polizeischule in Münster. Noch während seines Dienstes als Polizeibeamter im Streifendienst, den er 1970 quittierte, begann er in Bonn ein Jurastudium und schloss in beiden Examina mit der seltenen Bestnote "Eins" ab. 1988 promovierte er an der Westfälischen Wilhelm-Universität (WWU) in Münster bei dem als liberal geltenden Strafrechtsprofessor Gerald Grünwald mit einer Arbeit über das "Mitwirkungsverbot für den befangenen Staatsanwalt" zum Dr. jur.

Wirken

Nach dem Zweiten Staatsexamen (1978) war T. als Richter zunächst am Landgericht Bonn, später in Münster und ab 1988 am Oberlandesgericht Hamm tätig. Während der Promotion arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe, der obersten Instanz in Zivil- und Strafverfahren, und danach bis 1991 beim Bundesverfassungsgericht. Ab 1992 gehörte T. als Richter dem 4. Strafsenat und 1995-2006 auch dem Großen Senat für Strafsachen am BGH an. 1997 wurde er zugleich Präsidialrichter.

Vorsitzender des 3. Strafsenats am BGH 2001-2008Im 3. Strafsenat am BGH, dessen Vorsitz er 2001 übernahm, war T. für Revisionen in Verfahren der allgemeinen Kriminalität und insbesondere für Staatsschutzsachen zuständig. Dort erwarb er sich den Ruf eines äußerst peniblen, pragmatischen, Kompromissen eher abgeneigten, Richters, der sich streng an rechtsstaatliche Grundsätze hielt und gegen öffentlichen Druck oder politische Erwartungshaltungen weitgehend immun blieb. Der parteilose T. zählte zu den profiliertesten Strafrichtern des BGH, führte seine Verhandlungen stets souverän, "mit leichter Ironie, aber auch mit gedanklicher Schärfe" (taz, 20.10.2005), und verstand es, das Ringen um Gerechtigkeit im abschließenden Urteil anschaulich darzulegen. Seine Betonung von Distanz und Gelassenheit trug T. bisweilen die Kritik ein, zu sehr an der reinen Lehre orientiert bzw. "neutral bis zur Farblosigkeit" (Hbl., 21.12.2005) zu sein. Andere bescheinigten ihm, in seinen Urteilsverkündungen einen neuen Stil mit griffigen Formulierungen geprägt zu haben, was sich auch darin zeigte, dass sie Jahre später noch in den Medien zitiert wurden.

Internationale Beachtung fand die spektakuläre Entscheidung des 3. Senats im März 2004, das weltweit erste Urteil wegen der islamistischen Terroranschläge vom 11. Sept. 2001 gegen den in Deutschland lebenden Marokkaner Mounir el-Motassadeq (15 Jahre Haft) wieder aufzuheben. T. beanstandete Mängel in der Beweiswürdigung des OLG Hamburg, weil dem Angeklagten durch die restriktive Haltung der von den Anschlägen betroffenen USA ein möglicher Entlastungszeuge vorenthalten worden sei. Sein im Urteil geäußerter Satz "Für staatliche Gerichte kann der Kampf gegen den Terrorismus nicht einen ungeregelten, wilden Krieg bedeuten", der als Seitenhieb gegen die USA gedeutet wurde, fand sich am nächsten Tag in der New York Times wieder. Im Juni 2005 bestätigte T. den Freispruch des Hamburger Gerichts für den Angeklagten Abdelghani Mzoudi aus Mangel an Beweisen und kommentierte, eine "Sonderregelung" für Terrorverdächtige dürfe es nicht geben (SZ, 10.6.2005).

Ein großes Medienecho löste im Dez. 2005 auch das Revisionsurteil im sog. Mannesmann-Prozess aus, das T. auf die prägnante Formel brachte, Aufsichtsräte und Vorstände eines Unternehmens seien "nicht Gutsherren, sondern Gutsverwalter" (FAZ, 4.12.2006). In dem Prozess ging es um strittige Sonderprämien und Abfindungen für ehemalige Manager der Mannesmann AG, die kurz vor der Übernahme des Konzerns durch Vodafone (2000) im Aufsichtsrat genehmigt wurden. 2004 hatte das LG Düsseldorf u. a. den fr. Vorstandschef Klaus Esser und die Ex-Aufsichtsräte Josef Ackermann, Klaus Zwickel und Joachim Funk vom Vorwurf der Untreue freigesprochen. Das BGH-Urteil führte zur Wiederaufnahme des Verfahrens, das 2006 gegen Geldauflagen eingestellt wurde.

Internationale Anerkennung wurde T. zuteil, als ihn die UN-Vollversammlung im Aug. 2005 zum Ad-litem-(Ergänzungs-)Richter beim Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag wählte. Der auch als "UN-Kriegsverbrechertribunal" bekannte Ad-hoc-Gerichtshof diente der Verfolgung der seit 1991 in den Jugoslawienkriegen begangenen Verbrechen. Zudem war T. ab 1994 als Lehrbeauftragter an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der WWU in Münster tätig; seine Besprechungen neuerer Entscheidungen des BGH waren seitdem fester Bestandteil des strafrechtlichen Lehrprogramms der Fakultät. 1999 ernannte ihn die WWU zum Honorarprofessor aufgrund seiner wissenschaftlichen Verdienste, die er auch in zahlreichen Fachpublikationen unter Beweis stellte, u. a. als Mitautor des "Karlsruher Kommentars zur Strafprozessordnung".

BGH-Präsident ab 2008Auf Vorschlag von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) wurde T. 2008 zum neuen Präsidenten des BGH als Nachfolger von Günter Hirsch ernannt. In diesem Amt, das er am 1. Febr. antrat, verließ er die Bühne der großen Strafprozesse, nutzte aber weiterhin öffentlichkeitswirksame Gelegenheiten, um sich zu strafrechtlichen Grundsatzdebatten zu äußern. Auf dem Deutschen Richter- und Staatsanwaltstag in Weimar rügte er 2011 die "neue Lust am Strafen", die sich in einer Regelungsflut des Gesetzgebers zu immer neuen Straftatbeständen äußere (SZ, 8.4.2011). Zugleich wandte er sich gegen prozessverkürzende Absprachen in Strafverfahren - die sog. "Deals", mit denen bei einem Geständnis des Angeklagten das Strafmaß zwischen den Prozessbeteiligten ausgehandelt wird - und hielt an seiner Kritik fest, auch nachdem die seit Jahren gängige Praxis 2009 erstmals gesetzlich geregelt wurde.

Als BGH-Präsident übernahm T. den Vorsitz der Großen Senate und leitete zusätzlich den Kartellsenat, der u. a. ein wichtiges Grundsatzurteil zur Beweislast der Wasserversorger bei Preiserhöhungen fällte (2/2010), eine Entscheidung, die als richtungsweisend für eine Lockerung des Monopols auf dem Wassermarkt angesehen wurde. Andere wegweisende Urteile des BGH in T.s Amtszeit als Präsident stärkten die Rechte der Anleger auf dem Kapitalmarkt, verurteilt wurde z. B. die Deutsche Bank für ihre Verletzung von Beratungspflichten (3/2011). Ein weiteres Grundsatzurteil betraf den Embryonenschutz im Zusammenhang mit der sog. Präimplantationsdiagnostik (7/2010), die im Folgejahr auch gesetzlich in engen Grenzen zugelassen wurde.

Personalstreit am BGH 2011-2013In öffentlichen Auftritten leise und besonnen, wurde T. intern zunehmend mit einem autoritären Führungsstil in Verbindung gebracht. Zu einem "bizarren Justizskandal" (Hbl., 14.2.2012) entwickelte sich eine strittige Personalie am BGH, die gut zwei Jahre lang ungelöst blieb und immer wieder Schlagzeilen produzierte. Es ging um den Vorsitz des 2. Strafsenats, der im Febr. 2011 vakant wurde. Auf diesen Posten bewarb sich der stellv. Vorsitzende Thomas Fischer, ein in Fachkreisen als Koryphäe geltender Strafrechtler, der das Amt nach der Pensionierung von Ruth Rissing-van Saan kommissarisch übernahm. T. hatte Fischer, mit dem er fachlich oft auf einer Linie lag, stets beste Dienstbeurteilungen ausgestellt, Ende 2010 jedoch überraschend Zweifel an dessen persönlicher Eignung für den Senatsvorsitz geäußert. In einer neuen Beurteilung stufte T. Fischer herab, monierte dessen rege Vortragstätigkeit, bei der er gelegentlich Gefahr laufe, "die Grenzen der Zurückhaltung aus den Augen zu verlieren", und lastete dem Bewerber auch den Abgang von drei Richtern aus dem 2. Senat an (vgl. ZEIT, 6.10.2011). Fischer wehrte sich dagegen mit einer Konkurrentenklage vor dem Karlsruher Verwaltungsgericht, das per Eilverfahren im Okt. 2011 die Berufung von T.s bevorzugtem Kandidaten Rolf Raum durch das Bundesjustizministerium mit der Begründung stoppte, die Herabstufung der Beurteilung sei nicht nachvollziehbar. Daraufhin übertrug das BGH-Präsidium dem Vorsitzenden des 4. Strafsenats, Andreas Ernemann, ab Jan. 2012 gleichzeitig den Vorsitz des 2. Senats. Der Konflikt eskalierte, als Fischer und zwei Senatskollegen aus verfassungsrechtlichen Gründen gegen diese Doppelbesetzung protestierten und sich vorübergehend für beschlussunfähig erklärten. Der Doppelvorsitz, ein Novum in der BGH-Geschichte, wurde indes vom Bundesverfassungsgericht im Juni 2012 gebilligt. Das Personalkarussell drehte sich weiter, als Ernemann Mitte 2012 in Pension ging und Jörg-Peter Becker den Vorsitz des 2. Senats zusätzlich zum 3. erhielt. Ab Jan. 2013 übernahm T. selbst den Vorsitz im 3. Strafsenat, während die Neubesetzung des vakanten Chefpostens im 4. Senat durch eine neue Klage Fischers blockiert wurde. Ähnliches war absehbar, als im Frühjahr ein weiterer Senatsvorsitz frei wurde und somit drei von fünf Strafsenaten ohne reguläre Führung dastanden. Im Mai 2013 beendete das Bundeskabinett auf Vorschlag von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) den beispiellosen Richterstreit, indem es sich über T.s Votum hinwegsetzte und die Berufung von Fischer an die Spitze des 2. Senats ab Juli billigte. Raum und seine BGH-Kollegin Beate Sost-Scheible erhielten die beiden anderen vakanten Chefposten, und T. übergab den 3. Senat wieder an den vorherigen Vorsitzenden Becker. Während manche Kommentatoren den erbitterten Machtkampf mit der polarisierenden, selbstgerechten Art Fischers zu erklären versuchten, der auch vor öffentlicher Kollegenschelte nicht zurückschreckte, warf DER SPIEGEL (18.2.2013) T. vor, wie ein "Gutsherr" zu agieren. Die Süddeutsche Zeitung (14.2.2012) sah ihn eher als "Opfer seines Perfektionsdrangs" und resümierte, die Stärke des Richters sei zur "Schwäche des Präsidenten" geworden.

22. Mai 2014: Der Richterwahlausschuss wählt auf Vorschlag der SPD die parteilose derzeitige Amtschefin im baden-württembergischen Justizministerium, Bettina Limperg, zur künftigen Präsidentin des Bundesgerichtshofs (BGH). Als erste Frau in dieser Position wird sie die Nachfolge von Klaus Tolksdorf antreten, der altersbedingt Ende Januar 2014 aus dem Amt geschieden ist.

Familie

T. ist in zweiter Ehe verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Er spielt Tennis und, wenn es die Zeit erlaubt, Fußball in einer BGH- "Altherren-Mannschaft".

Adresse

c/o Westfälische Wilhelms-Universität, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Universitätsstraße 14-16, 48143 Münster, Tel.: 0251 83-22710, E-Mail: dekan03@uni-muenster.de



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