MUNZINGER Wissen, das zählt | Zurück zur Startseite
Wissen, das zählt.


MUNZINGER Personen

Károly Grósz

ungarischer Politiker; Ministerpräsident (1987-1988); Parteichef (1988-1989); Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei
Geburtstag: 1. August 1930 Miskolc
Todestag: 7. Januar 1996 Gödöllö
Nation: Ungarn

Internationales Biographisches Archiv 11/1996 vom 4. März 1996 (lm)


Blick in die Presse

Herkunft

Károly Grósz stammte aus Miskolc in Nordungarn. Sein Vater war Dreher in einer Maschinenfabrik und Anhänger der Kommunistischen Partei, der G. als Druckerlehrling 1945 auch beitrat.

Ausbildung

Er erlernte den Beruf des Druckers und erwarb später an der Lorand Eötvös Universität in Budapest noch ein Lehrerdiplom.

Wirken

Ab 1946 arbeitete er in einer Druckerei in Budapest. Ende 1949 gab G. seinen Beruf auf und wurde 1950 Bezirkssekretär des Einheitsjugendverbandes im nordungarischen Komitat Abaúj. Nach einem Jahr Dienst in der Militärakademie war G. bis Nov. 1954 Politoffizier bei der Truppe. Anschließend arbeitete er beim Parteikomitee des Heimatkomitats Borsod, wo er 1958-1961 als Chefredakteur der lokalen Parteizeitung "Eszak-Magyarorszag" fungierte.

Nachdem er die Parteihochschule absolviert hatte, machte G. ab 1958 politisch-journalistische Karriere als Redakteur und Parteisekretär beim ungarischen Rundfunk und Fernsehen. 1968-1973 wechselte er als stellv. Abteilungsleiter in das Agitprop-Sekretariat des Zentralkomitees und 1973-1974 war er Parteichef des Komitats Fejér. 1974-1979 leitete er selbst die Agitprop-Abteilung und 1979-1984 schließlich war er Leiter des Parteikomitees des Komitats Borsod. In den innersten Führungskreis stieß G. - seit 1980 Mitglied des Zentralkomitees - 1984 vor, als er im Dezember Parteisekretär von Budapest und 1985 Mitglied des Politbüros wurde. Zum Abschluß des 13. Parteikongresses (1985) gab G. als einziger hoher Funktionär dem Korrespondenten der jugoslawischen Zeitschrift "NIN" ein Interview, in dem sich der eloquente Politiker offen zu Reformen im wirtschaftlichen Bereich bekannte.

Nicht unerwartet beschloß das Zentralkomitee am 25. Juni 1987 personelle Umbesetzungen in Partei- und Regierungsspitze. Lazars Nachfolger an der Spitze der ungarischen Regierung wurde G., der sich mit seinem zur Eröffnung der Herbstsitzung des Parlaments im Sept. 1987 vorgelegten unpopulären, aber unverzichtbaren Programm zur Wirtschaftsreform, das u. a. die Einführung einer Mehrwert- und Einkommensteuer beinhaltete, als politischer Praktiker empfahl. Aus dem von Parteichef Kádár persönlich ins Amt Gedrängten war so binnen kurzem ein Fordernder geworden, der den zuvor bedeutungslosen Posten des Ministerpräsidenten zur eigentlichen politischen Schaltzentrale ausbaute und sich auch zu einer Veränderung der politischen Strukturen als Voraussetzung einer zielgerichteten Wirtschaftsreform bekannte. Mit einem großen Revirement im Dez. 1987, bei dem u. a. der bisherige Finanzminister und Schöpfer der Steuerreform, Péter Medgyessy, zum Vorsitzenden einer neugeschaffenen Regierungskommission für Plan- und Wirtschaftsfragen ernannt wurde, suchte G. den Erfolg der einschneidenden Maßnahmen abzusichern. Eine entscheidende Neuerung war die Aufgabe der Kontrolle des Außenhandels mit der Folge der von den "Bruderländern" hart kritisierten Durchlässigkeit der ungarischen Grenzen zum Westen.

Zum Abschluß einer Parteikonferenz im Mai 1988, auf der ein neues Programm der Reformen offen und kontrovers diskutiert und dann mit großer Mehrheit angenommen worden war, wählten die Delegierten ein neues ZK, das am 22.5.1988 G. auch zum neuen Generalsekretär der USAP wählte. Der bis zuletzt zu einem freiwilligen Rücktritt nicht bereite Parteichef Kádár wurde "Ehrenvorsitzender der Partei" ohne Sitz im Politbüro. Im Nov. 1988 verzichtete G. auf das Amt des Regierungschefs, um sich ganz der von ihm für möglich gehaltenen Reform und Modernisierung der Partei widmen zu können. Nachfolger als Ministerpräsident wurde der Reformpolitiker Miklos Németh. Hatten G. und die USAP noch im Nov. 1988 die Zulassung mehrerer Parteien ausdrücklich abgelehnt, so billigte das ZK nach Formierung politischer Gruppierungen im Febr. 1989 die Entwicklung eines "politischen Pluralismus". G. meinte damals noch, auf einem Führungsanspruch der Kommunisten verharren zu können und erklärte, jedermann habe die "sozialistische Grundlage" der Gesellschaft zu akzeptieren. Er stieß aber zunehmend auf Stimmen, die den bisherigen Kurs, der Partei offen als Irrweg bezeichneten.

Bei einer neuerlichen Umbildung der Parteispitze im Juni 1989 schied Kádár ganz aus und starb wenig später. G. blieb zwar Generalsekretär, doch wurde ein vierköpfiges Parteipräsidium mit Nyers, Németh, G. und Pozsgay geschaffen, in dem Nyers den Vorsitz übernahm. Die weitere Entwicklung ging über G. und seine Anschauungen hinweg. Nyers trat selbst auf das Risiko einer Niederlage der Kommunisten für absolut freie Wahlen und strikte Rechtsstaatlichkeit ein. Ein Anzeichen für die Beachtung international verbindlicher Normen war die Öffnung der Grenze für den Dauerstrom von Flüchtlingen aus der DDR im Sept. 1989, die zum Signal für den bevorstehenden Zusammenbruch des SED-Regimes in der DDR wurde.

Auf dem Parteikongreß Anfang Okt. 1989 setzte die Reformgruppe die Bildung einer "Ungarischen Sozialistischen Partei" (USP) an Stelle der aufgelösten USAP mit Nyers als Parteivorsitzendem durch. G. erklärte danach, daß er auf Wunsch der in die Minderheit versetzten Parteimitglieder am Aufbau einer neuen kommunistischen Partei arbeiten wolle, resignierte aber bald und zog sich in den kleinen Ort Gödöllö bei Budapest zurück. In einem Interview mit Le Monde (28.3.1990) sagte er u. a., er habe das "Modell, aber nicht das System" ändern wollen. Die Nachfolgepartei der USAP, die Ungarische Arbeiterpartei unter Führung von Gyula Thürmer, scheiterte bei den Wahlen 1990 und 1994 an der 5-Prozent-Hürde.

Familie

Im Alter von 65 Jahren starb G. am 7. Jan. 1996 in Gödöllö an Krebs.



Die Biographie von Jan Peter Balkenende ist nur eine von über 40.000, die in unseren biographischen Datenbanken Personen, Sport und Pop verfügbar sind. Wöchentlich bringen wir neue Porträts, publizieren redaktionell überarbeitete Texte und aktualisieren darüberhinaus Hunderte von Biographien.
Unsere Datenbanken sind unverzichtbare Recherchequelle für Journalisten und Publizisten, wertvolle Informationsquelle für Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft, Grundausstattung für jede Bibliothek und unerschöpfliche Fundgrube für jeden, der mit den Zeitläuften und ihren Protagonisten Schritt halten will.



Lucene - Search engine library