Von Frauke Gewecke
Die Karibik, Schauplatz einer über fünf Jahrhunderte währenden konfliktreichen Begegnung von Menschen und Kulturen aus vier Kontinenten, gilt als privilegierter Ort, an dem die gegenwärtig vorherrschenden Konzepte postkolonialer Theoriebildung erprobt und festgeschrieben werden: die Konzepte von Hybridisierung oder Kreolisierung und von diasporischer oder nomadischer Identität.
“Hybridisierung” bezeichnet den transkulturellen Mischungsprozess, traditionell gefasst als mestizaje oder métissage, der in der Karibik im Kontakt der verschiedenen Kulturen neue, synkretistische und zugleich originäre, Kulturen hervorbrachte; “diasporische Identität” meint das Ergebnis von Migrationsprozessen, die, erzwungen oder freiwillig, eine Konstante der karibischen (oder westindischen) Geschichte und Gegenwart sind: die über den atlantischen Dreieckshandel betriebene Zwangsmigration schwarzer Sklaven aus Afrika, die nach Abschaffung der Sklaverei erfolgte forcierte Arbeitsmigration von Kontraktarbeitern aus Asien, schließlich die in der Mitte des 20. Jahrhunderts massiv einsetzende, durch politische Verfolgung oder Perspektivlosigkeit motivierte Emigration aus der Karibik in die europäischen Metropolen, nach Kanada und in die USA. “Migration als Wunsch oder als Notwendigkeit”, so der aus Barbados stammende Poet und Essayist Edward Kamau Brathwaite (geb. 1930) in seinem Essayband “Roots” (Wurzeln, 1986), “bildet den Kern westindischer Sensibilität – sei es als reale Tatsache oder als Metapher”. Und Kreolisierung, so derselbe ...