Jair Bolsonaro
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Internationales Biographisches Archiv
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW
Jair Messias Bolsonaro wurde am 21. März 1955 in Glicério (Bundesstaat São Paulo) als drittes von sechs Kindern des Landarztes Percy Geraldo Bolsonaro und seiner Frau Olinda Bonturi Bolsonaro geboren. Der Vater zog als Zahnarzt ohne akademischen Abschluss über die Dörfer und wechselte später in die Prothetik. B.s Vorfahren stammten überwiegend aus Italien: Seine Großeltern mütterlicherseits waren in den 1890er Jahren aus Lucca nach Brasilien ausgewandert, die Urgroßeltern väterlicherseits kamen u. a. aus Venetien und Kalabrien. Der andere Urgroßvater väterlicherseits, Carl Hintze, war ein deutscher Einwanderer aus Hamburg. B. wuchs an verschiedenen Orten im Süden des Staates São Paulo auf, ab 1966 in der Kleinstadt Eldorado.
In seinem letzten Highschooljahr erhielt B. die Zulassung für die Escola Preparatoria des Cadets do Exército, eine Kadettenschule, in die er 1973 eintrat. Danach absolvierte er 1974-1977 die Academia das Agulhas Negras, die wichtigste Militärakademie in Brasilien, die er als Artillerieoffizier abschloss.
Karriere als BerufsoffizierB. diente u. a. als Fallschirmjäger in Rio de Janeiro und machte bereits in seiner Armeezeit als rechtsgerichteter Hardliner öffentlich auf sich aufmerksam, als er sich in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Veja" 1986 gegen Vorgesetzte stellte und die nach dem Ende der Militärdiktatur (1964-1985) noch junge Demokratie Brasiliens kritisierte. Später überstand er ein Disziplinarverfahren, das 1988 in letzter Instanz mit Freispruch endete, und verließ kurz darauf den aktiven Militärdienst als Hauptmann der Reserve.
Politische Anfänge1988 wurde B. für den christdemokratischen Partido Democráta Cristao (PDC) in den Stadtrat von Rio de Janeiro gewählt, dem er 1989-1991 angehörte. Ab 1991 hielt er ein Mandat in der Abgeordnetenkammer des Nationalkongresses, zunächst ebenfalls für den PDC. B. wurde sechsmal als Abgeordneter des Bundesstaates Rio de Janeiro wiedergewählt, 2014 gewann er dort die meisten Stimmen. Bis zu seinem Ausscheiden aus dem Kongress 2018 wechselte B. neunmal die Partei, am längsten hielt es ihn beim konservativen Partido Progressista (1995-2003 und 2005-2016). Von manchen als skurriler Hinterbänkler belächelt, erlangte er 2016 Bekanntheit, als er für das Amtsenthebungsverfahren gegen die linke Präsidentin
Weg zur PräsidentschaftAnfang 2018 wurde B. Mitglied und wenig später auch Vorsitzender der zentristischen Kleinstpartei Partido Social Liberal (PSL), die er in eine rechtspopulistische Partei umformte, um dann als deren Kandidat bei der Präsidentschaftswahl 2018 anzutreten. Hierbei konnte er davon profitieren, dass die politischen Gegner, v. a. die langjährige Regierungspartei Partido dos Trabalhadores (PT; Arbeiterpartei), durch diverse Korruptionsaffären geschwächt waren, während die Amtsenthebung von Rousseff (PT) das Land weiterhin spaltete. Der potenziell aussichtsreichste Gegenkandidat, der populäre Ex-Präsident
B. führte einen aggressiven Wahlkampf, äußerte sich frauenfeindlich, rassistisch und homophob, bezeichnete Homosexualität als heilbare Krankheit, bekannte sich zur fr. Militärdiktatur und sprach sich für straffreie Polizeigewalt aus. Ungeachtet dessen, dass er sich selbst zur Steuerhinterziehung bekannte und als Immobilienbesitzer von Geldwäsche profitierte (vgl. WELT, 27.10.2018), zog er gegen die Korruption der politischen Eliten zu Felde und drohte seinen Gegnern wie auch unliebsamen Medien mit Verfolgung. Sein massiver Einsatz sozialer Medien zur Verbreitung von Diffamierungen und Fake News wurde als "beispiellos" beschrieben (ipg-journal, 30.10.2018). Gewaltsame Übergriffe seiner Anhänger waren an der Tagesordnung, aber auch B. selbst wurde Opfer der aufgeheizten Stimmung und bei einem Messerattentat am 6. Sept. 2018 lebensgefährlich verletzt.
Wahl zum StaatspräsidentenIn der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am 7. Okt. 2018 landete er mit 46 % der Stimmen deutlich vor dem zweitplatzierten PT-Kandidaten
Kabinett und PolitikstilDie Amtsübergabe im Präsidentenamt erfolgte unter dem Boykott der Opposition am 1. Jan. 2019. B. trat damit die Nachfolge des liberal-konservativen Präsidenten
B. wurde hinsichtlich seines Auftretens und Politikstils oft mit dem rechtspopulistischen US-Präsidenten
Innen- und WirtschaftspolitikBei Auftritten vor seinen Anhängern deutete B. mit einer typischen Handgeste gerne einen imaginären Pistolenschuss an. Ein zentrales Wahlversprechen setzte er im Jan. 2019 um, als er via Dekret das Waffenrecht liberalisierte und Privatleuten erlaubte, bis zu vier Schusswaffen zu kaufen und zuhause oder am Arbeitsplatz aufzubewahren. Sein Rezept gegen die grassierende Kriminalität im Land und die hohe Mordrate - eine der höchsten weltweit - bestand zum einen darin, Bürger mit Waffen auszurüsten, und zum anderen in einer harten Sicherheitspolitik. So initiierte er einen Gesetzesvorstoß, der Polizisten im Falle von Gewaltanwendung umfassend vor Strafverfolgung schützen sollte.
Angesichts der stagnierenden Wirtschaft setzte B. in starkem Maße auf Privatisierungen und auf Deregulierung sowohl beim Umweltschutz als auch bei Arbeitnehmer- und Indigenenrechten. Um die rapide steigende Staatsverschuldung einzudämmen, hatte er u. a. versprochen, das staatliche Rentensystem zu reformieren, was auch viele Ökonomen für überfällig hielten. Obwohl B.s Verhältnis zum in rd. 30 Parteien zersplitterten Kongress von einer "permanenten Konfrontation" geprägt war (FAZ, 2.1.2020), gelang es im Okt. 2019, das umstrittene Rentenreformgesetz, das erstmals ein Mindestalter für den Renteneintritt einführte, durch den Kongress zu bringen. Die Rentenreform sowie auch drastische Kürzungen im Bildungssektor riefen landesweite Proteste hervor. Ein "Richtungsschwenk" gegen die wirtschaftsliberale Guedes-Agenda (vgl. Hbl., 5.5.2020) deutete sich im Frühjahr 2020 an, als das Präsidialamt ein staatsfinanziertes Infrastrukturprogramm vorstellte, um der Rezession in der Coronakrise (s. u.) entgegenzuwirken.
AußenpolitikB.s erste Auslandsreise als Präsident führte ihn im Jan. 2019 zum Weltwirtschaftsforum nach Davos, wo er als Vertreter der größten Volkswirtschaft Südamerikas auf großer Bühne empfangen wurde, die versammelte Elite aber mit "leeren Floskeln" enttäuschte (vgl. WELT, 23.1.2019: "Bolsonaros verpatzter Auftritt"). Er setzte außenpolitisch - nach Jahren der Entfremdung - primär auf eine gute Freundschaft mit den USA. B.s Antrittsbesuch bei seinem politischen Vorbild Trump in Washington (3/2019) stellte die ideologische Verbundenheit zur Schau, offenbarte Beobachtern zufolge aber auch eine gewisse Asymmetrie im Verhältnis der beiden (vgl. dw.com, 19.3.2019: "Bolsonaro buhlt, Trump belohnt"). Im Aug. 2019 erklärte Trump Brasilien offiziell zu einem wichtigen strategischen Militär-Partner außerhalb der NATO (Nordatlantikallianz), was Rüstungsgeschäfte und Militärkooperationen erleichterte. Im Wettbewerb um Absatzmärkte für Rohstoffe und Agrarprodukte kamen sich beide jedoch in die Quere. Wirtschaftlich blieb Brasilien auf seinen größten Handelspartner China angewiesen, den Trump in einen Handelskrieg verwickelte und den B. anfangs mit antikommunistischen Tiraden verprellte. Schließlich sah sich B. dann doch gezwungen, wie seine Amtsvorgänger pragmatisch auf die investitionsfreudige, wachstumsstarke Volksrepublik zuzugehen, während Trumps protektionistische Handelspolitik letztlich auch das exporthungrige Brasilien nicht verschonte (vgl. zeit.de, 24.12.2019). Zum Sieg des Demokraten
Einst international angesehen als "diplomatisch federführend" in der Gruppe der aufstrebenden Schwellenländer mit Russland, Indien, China und Südafrika (sog. BRICS-Staaten), erlitt Brasilien unter B. einen nachhaltigen Imageverlust (dw.com, 14.6.2020; vgl. SPIEGEL, 44/2019). Dazu trugen insbesondere B.s Umgang mit Umweltkatastrophen und seine Klimapolitik bei (s. u.). Sein ideologisches Freund-Feind-Schema prägte auch die Beziehungen zu den Nachbarländern. Als sich Anfang 2019 die politische Krise in Venezuela um die umstrittene Wiederwahl des sozialistischen Präsidenten
Position zur Ukraine-InvasionHinsichtlich des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ab Febr. 2022 zählte Brasilien zu jener Ländergruppe, die für eine gewisse Neutralität optierte. B. selbst, der zuvor aus seiner Bewunderung für den russischen Autokraten
Umwelt- und KlimapolitikWie Trump hatte auch B. einen Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 angekündigt, musste dann aber zur Kenntnis nehmen, dass dies wenig förderlich für ein Projekt wäre, von dem man sich viel für die wirtschaftliche Erholung Brasiliens versprach, nämlich ein Freihandelsabkommen zwischen dem Staatenbund Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay) und der Europäischen Union (EU). Der Vertrag wurde nach jahrelangen Verhandlungen im Juni 2019 unterzeichnet, verpflichtete aber zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens, d. h. im Falle Brasiliens insbesondere zum Schutz des Amazonas-Regenwaldes, der für die Stabilisierung des Weltklimas und für die Wasserversorgung großer Teile Südamerikas von zentraler Bedeutung ist. Stattdessen stiegen die Abholzung und Brandrodung unter B. stark an. Im Sommer 2019 erlebte Brasilien die verheerendsten Waldbrände seit über 20 Jahren, die B. ins Zentrum internationaler Kritik rückten, hatte er sich doch stets für eine Entwaldung zwecks wirtschaftlicher Nutzung ausgesprochen und auch dafür, die Schutzgebiete der Indigenen für Bergbau und Landwirtschaft zu "öffnen".
Nicht zuletzt aufgrund von anhaltenden Protesten in Europa gegen diese Politik geriet die Ratifizierung des EU-Mercosur-Abkommens schließlich ins Stocken. B. wurde v. a. vorgeworfen, der Umweltkatastrophe tatenlos zuzusehen bzw. illegale Rodungen sogar zu dulden. So erließ er im Dez. 2019 ein Dekret, das eine Art Amnestie für Landräuber im ganzen Amazonasgebiet vorsah. Neue Negativrekorde erreichten die Waldbrände dort bereits wieder im Sommer 2020 und auch im Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2022, als offenbar viele Farmer einen Macht- und Politikwechsel befürchteten. Während Brasilien auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow 2021 nunmehr Programme präsentierte, die ein klimapolitisches Engagement suggerierten, bescheinigte eine Greenpeace-Studie der B.-Regierung eine verheerende Umweltbilanz: Die CO2-Emissionen hätten drastisch zugenommen, ebenso der Einsatz von Pestiziden; zudem habe B. die nationalen Umweltbehörden systematisch geschwächt (vgl. SZ, 24.1.2022). "Nicht dank, sondern trotz der Regierungspolitik" verzeichnete sein Land laut Handelsblatt (10.11.2021) einen Boom bei privaten Investitionen in "grüne" Energien, wobei es bereits über den höchsten Erneuerbaren-Anteil (43 %) am gesamten Endenergieverbrauch unter den 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländern (G20) verfügte. Ein großer Teil des Stroms wurde allerdings in Wasserkraftwerken erzeugt, deren Betrieb durch extreme Trockenperioden zunehmend beeinträchtigt wurde.
CoronakriseDie Ende 2019 von China ausgehende Coronavirus-Pandemie breitete sich im Frühjahr 2020 auch in Brasilien rasant aus. Während die meisten Länder weltweit zu drastischen Isolationsmaßnahmen griffen und wirtschaftliche Verwerfungen in Kauf nahmen, ignorierte B. den Rat von Experten wie auch der eigenen Minister, verharmloste die Pandemie als "Grippchen", schüttelte weiterhin Hände, erschien sogar auf Demonstrationen gegen Pandemiemaßnahmen der brasilianischen Gouverneure und schob diesen dann die Verantwortung für die ökonomischen Kollateralschäden zu. Gleichzeitig kam es zu teils großen Demonstrationen, die B.s Versagen in der Coronakrise anprangerten. Im April 2020 entließ B. den beliebten Gesundheitsminister Luiz Mandetta, danach wechselten die Ressortchefs in rascher Folge. B. war nach eigener Aussage auch selbst infiziert und inszenierte sich dann als Beispiel für die vermeintliche Harmlosigkeit der Krankheit (vgl. FAZ, 9.7.2020). Er propagierte den Einsatz unwirksamer Medikamente und ließ zu, dass im Jan. 2021 das Gesundheitssystem in Amazonien kollabierte und die Sauerstoffversorgung zusammenbrach. Obwohl es um diese Zeit bereits hochwirksame Vakzine gab und nahezu alle in Brasilien getestet worden waren, rückte B. erst Mitte März 2021, als täglich über 3.000 Corona-Tote im Land zu beklagen waren, von seinem Kurs der Pandemieleugnung ab und setzte ein Krisenkomitee ein, um für eine schnelle Impfung der Bevölkerung zu sorgen. Trotz oder gerade wegen B.s ostentativer Impfskepsis wurde die Impfkampagne im leidgeprüften Brasilien schließlich ein großer Erfolg (vgl. zeit.de, 18.12.2021). Insgesamt wurden dort bis Dez. 2022 über 690.000 Corona-Todesfälle registriert, wobei immer auch eine hohe Dunkelziffer vermutet wurde.
Die Pandemie legte zudem schonungslos die negativen Folgen der ideologischen Außenpolitik offen. Wie Trump warf B. der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen zu großen Einfluss Chinas vor und drohte im Juni 2020 mit Austritt. Im Vergleich mit anderen Ländern der Region erhielt Brasilien erst spät Arzneimittel, Medizinprodukte und Impfstoffe aus dem Ausland und verweigerte sich auch lange der COVAX-Initiative der WHO für eine faire globale Impfstoffverteilung.
Justizskandale und Konflikte im RegierungslagerDass B. ausgerechnet den fr. Bundesrichter Sérgio Moro zum Justizminister machte, der den Ex-Präsidenten Lula 2017 unter fragwürdigen Umständen verurteilt hatte, spaltete schon früh die Gemüter. Einen großen Skandal löste dann im Juni 2019 die Veröffentlichung von Gesprächsmitschnitten im Online-Magazin "The Intercept" aus, die nahelegten, dass sich Moro und die Staatsanwaltschaft bei den Korruptionsermittlungen illegal abgesprochen hätten, um Lula hinter Gitter zu bringen. Als der verantwortliche Journalist
Im April 2020 erklärte Moro seinen Rücktritt als Justizminister. Er beklagte eine schwere politische Einflussnahme auf die Bundespolizei durch B., der darauf bestanden habe, einen Vertrauten an deren Spitze zu setzen. Der Hintergrund waren Ermittlungen gegen Personen aus B.s Umfeld, u. a. seinen Sohn Carlos, der verdächtigt wurde, Hetzkampagnen eines mutmaßlichen Fake-News-Netzwerks orchestriert zu haben. Gegen B.s Sohn Flávio wurde wegen korrupter Geschäfte ermittelt. Den Bolsonaros wurden zudem wiederholt Verbindungen zu mafiösen Milizen nachgesagt. Basierend auf Moros Aussagen wurde im April 2020 auch gegen B. ein Verfahren eröffnet wegen Justizbehinderung und Pflichtverletzung.
Ein Senatsausschuss, der die Corona-Politik der Regierung untersuchte, stimmte im Okt. 2021 mehrheitlich für eine Anklageerhebung gegen B. wegen vorsätzlicher Verfehlungen im Krisenmanagement, darunter Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Justiz ermittelte gegen ihn wegen der Verbreitung von Fake News im Zusammenhang mit der Pandemie und wegen seiner Angriffe auf das elektronische Wahlsystem in Brasilien, das er wiederholt für fälschungsanfällig erklärte. B. genoss jedoch die Rückendeckung des Generalstaatsanwalts Augusto Aras; auch ein Amtsenthebungsverfahren im Kongress zeichnete sich nicht ab, da er dort noch über genug Unterstützung verfügte, um dieses abzuwenden. Gegen B. wurden zudem mehrere Klagen beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen systematischer Menschenrechtsverletzungen an der indigenen Bevölkerung eingereicht, mit Bezug auf die Zerstörung ihrer Lebensräume im Regenwald sowie eine diskriminierende Corona-Politik.
Zunehmend offenbarten sich die Spannungen innerhalb der Regierung. Ende März 2021 trat Außenminister Araújo zurück, der wegen der desaströsen Pandemiepolitik (s. o.) unter Druck stand und auch in der Privatwirtschaft hart kritisiert wurde. Der neue Außenminister Carlos Alberto Franco França galt als weniger ideologisch. Im selben Monat demissionierten überraschend der Verteidigungsminister Fernando Azevedo e Silva sowie die dreiköpfige Armeeführung. Der Reservegeneral im Ministeramt hatte sich gegen Versuche des Präsidenten gewandt, die Armee politisch zu instrumentalisieren (vgl. kas.de, 1.4.2021). Sein Nachfolger wurde der General Walter Braga Netto, ein Hardliner, der kurz nach seiner Ernennung Sympathien für die Militärdiktatur bekundete. Im Juni 2021 folgte eine Umbesetzung an der Spitze des Umweltministeriums wegen Korruptions- und Holzschmuggelvorwürfen.
Als "Machtdemonstration" B.s wurde eine Militärparade im Aug. 2021 gewertet (vgl. SPON, 11.8.2021). Hierbei rollten Panzer durch die Hauptstadt, just bevor im Kongress über eine umstrittene Wahlreform abgestimmt wurde, die indes keine Mehrheit fand.
Wirtschaftslage ab 2020Im Zuge der Pandemie sank das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2020 real um vergleichsweise moderate 3,9 %, die Arbeitslosenrate stieg auf 13,8 % (2019: 12 %). Zur Stabilisierung des Konsums trugen die ab März 2020 eingeführten massiven Sozialprogramme bei. Durch diese Corona-Hilfen für fast 70 Mio. Betroffene stieg allerdings auch das Haushaltsdefizit auf 10 % des BIP. 2021 wuchs die Wirtschaft wieder um 4,6 %, für 2022 wurden aber nur noch (geschätzt) 1,7 % erwartet, während sich die Lage großer Teile der Bevölkerung durch die stark steigende Inflation (rd. 12 % im Juni 2022) verschlechterte, die von einer globalen Energiekrise infolge der russischen Ukraine-Invasion angetrieben wurde. Kurz vor den Wahlen im Okt. 2022 (s. u.) wurde das Sozialhilfeprogramm aufgestockt, womit 30 Mio. Arme Sofortzahlungen in Höhe eines halben Mindestlohnes erhielten. Zudem wurden die Benzin- und Gaspreise künstlich gesenkt. Beobachter sahen darin teure Wahlkampfgeschenke "ganz nach dem Muster der Linken", die B. sonst hierfür gerne kritisierte (FAZ, 7.11.2022). Allerdings ging die Arbeitslosenrate zuletzt auch wieder deutlich zurück (auf 8,3 % im Okt. 2022).
Abwahl 2022Mit Blick auf seine Wiederwahlkampagne für 2022 trat B. im Nov. 2021 dem neu formierten, rechtsliberalen Partido Liberal (PL) bei. Bald zeichnete sich ein Duell zwischen B. und Lula ab, wobei B. angesichts schlechter Umfragewerte auf die Taktik seines Vorbilds Trump setzte, im Vorfeld Zweifel am Wahlsystem zu streuen (vgl. NZZ, 22.7.2022). Der wiederum von Hassreden und Gewaltausbrüchen überschattete Wahlkampf wurde als "vergiftet" beschrieben (u. a. tagesschau.de, 22.9.2022). Bei der Präsidentschaftswahl im Okt. 2022 erreichte Lula in der ersten Runde 48,3 % der Stimmen und verwies B. auf Platz 2, der mit 43,2 % aber noch besser abschnitt als erwartet. Bei den gleichzeitigen Kongresswahlen wurde B.s PL stärkste Fraktion mit 99 von 513 Sitzen im Abgeordnetenhaus und hatte auch bei der Teilsenatswahl die Nase vorn (13 von 81 Sitzen). Die Stichwahl am Monatsende verlor B. mit 49,1 zu 50,9 % der Stimmen denkbar knapp gegen Lula. Er war der erste Amtsinhaber seit über 30 Jahren, der nicht wiedergewählt wurde.
Wie Trump gestand B. aber die Niederlage nicht ein und reichte mit seiner Partei Beschwerde gegen das Ergebnis ein. Das Oberste Wahlgericht wies diese Ende Nov. 2022 zurück und verhängte sogar eine hohe Geldstrafe, da die Antragsteller keinerlei Beweise für den behaupteten Wahlbetrug vorgelegt und in böswilliger Weise einen unnötigen Rechtsstreit provoziert hätten. Unterdessen zeigte sich B. kaum noch in der Öffentlichkeit, blieb im November auch hochrangigen internationalen Treffen wie dem G20-Gipfel auf Bali und der UN-Klimakonferenz in Ägypten fern und erzeugte damit eine beunruhigende Atmosphäre.
Radikalisierte Anhänger B.s blockierten zahlreiche Fernstraßen, belagerten die Kasernen und forderten einen Putsch. Gleichzeitig hatte B. seine Regierung offenbar bereits angewiesen, die Übergabe der Amtsgeschäfte bis zum 1. Jan. 2023 vorzubereiten; das Militär lehnte ein Eingreifen in einer Verlautbarung Mitte Nov. 2022 ab. Entgegen der Gepflogenheiten nahm Bolsonaro aber nicht an der Vereidigung Lulas teil, stattdessen war er zum Jahreswechsel in die USA nach Florida gereist.
Sturm auf den Kongress Nachdem es zunächst geheißen hatte, B. scheine sich "nur deswegen zu fügen, weil ihm für umstürzlerische Pläne der Rückhalt in Militär und Politik fehlt" (FAZ, 7.11.2022), stürmten mehrere Tausend B.-Anhänger am 8. Jan. 2023 den Nationalkongress, den Amtssitz des Präsidenten, drangen in das Oberste Gericht ein und richteten stundenlang schwere Verwüstungen an. Die Sicherheitskräfte ließen die Angreifer zunächst unbehelligt, diese wurden erst zurück gedrängt, als Lula alle Polizeieinheiten des Bundesdistrikts sowie Einheiten der Nationalgarde mobilisierte.
B. wies jede Verantwortung für den Gewaltausbruch (taz, 14.1.2023: "Schock für Brasiliens junge Demokratie") zurück und ließ über seine Anwälte dementieren, dass er Verbindungen zu den Verantwortlichen gehabt habe. Die Generalstaatsanwaltschaft warf dem Ex-Präsidenten aber "Anstiftung und geistige Urheberschaft" der Krawalle vor und leitete Ermittlungen gegen B. ein. Nach den Ausschreitungen galt B. auch als diskreditiert in der Wirtschaft und bei Investoren, die seinen Konkurrenten Lula zuvor noch für unwählbar gehalten hatten (vgl. Hbl., 12.1.2023: "Unternehmer entziehen Bolsonaro das Vertrauen").
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Der brasilianische Staatspräsident
Der brasilianische Staatspräsident
Der Ex-Staatspräsident Brasiliens,
Das Oberste Wahlgericht Brasiliens schließt den 68-jährigen Ex-Staatspräsidenten
Nachdem Anfang Januar 2023 rd. 3.000 radikale Anhänger von Ex-Präsident
Die brasilianische Bundespolizei zieht im Rahmen der Operation "Tempus Veritatis" den Reisepass von Ex-Staatspräsident
In São Paulo demonstrieren Hunderttausende Menschen für den früheren Staatspräsidenten
In mehreren Städten Brasiliens demonstrieren anlässlich des Unabhängigkeitstages Zehntausende Anhänger des ehemaligen Präsidenten
Ein 59-jähriger Politiker des rechtskonservativen Partido Liberal von
Die brasilianische Bundespolizei nimmt vier hochrangige Militäroffiziere und einen Polizeibeamten fest, die im Verdacht stehen, Ende 2022 an einem Mordkomplott gegen den damals gewählten Präsidenten
Die Generalstaatsanwaltschaft in Brasilien erhebt gegen den früheren Staatspräsidenten
B. heiratete nach zwei Scheidungen 2007 zum dritten Mal. Mit seiner 27 Jahre jüngeren Frau Michelle hat er eine Tochter, Laura (* 2010). Aus der ersten Ehe stammen die Söhne Flávio (* 1981), Carlos (* 1982) und Eduardo (* 1984). Mit seiner zweiten Frau Ana-Cristina Valle bekam er den Sohn Renan (* 1998). Der ursprünglich katholisch getaufte B. besuchte nach seiner dritten Hochzeit regelmäßig die Gottesdienste evangelikaler Kirchen und ließ sich 2016 von einer Pfingstkirche erneut taufen. 2018 erlitt er bei einer Messerattacke schwere Bauchverletzungen, die mehrere Operationen nach sich zogen.
Literatur u. a.: Andreas Nöthen: "Bulldozer Bolsonaro. Wie ein Populist Brasilien ruiniert" (20), Niklas Franzen: "Brasilien über alles. Bolsonaro und die rechte Revolte" (22).
Auszeichnungen u. a.: "Persönlichkeit des Jahres"/Amerikanisch-brasilianische Handelskammer (19), TIME-Liste "100 most influential people" (19; 20).