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Hans van Mierlo

Hans van Mierlo

niederländischer Politiker; Außenminister (1994-1998); Demokraten 66
Geburtstag: 18. August 1931 Breda
Todestag: 11. März 2010 Amsterdam
Nation: Niederlande

Internationales Biographisches Archiv 28/2010 vom 13. Juli 2010 (la)


Blick in die Presse

Herkunft

Hans (eigentlich Henricus Antonius Franciscus Maria Oliva) van Mierlo wurde 1931 in Breda geboren und stammte aus einer Brabanter Bankiers- und Fabrikantenfamilie.

Ausbildung

Die schulische Ausbildung beendete er 1951 am Canisius-College der Jesuiten in Nimwegen mit dem Abitur. Er trat dann den Wehrdienst an, musste aber 1952 krankheitshalber die Offiziersausbildung abbrechen und den Dienst quittieren. Im gleichen Jahr begann M., der zunächst Schauspieler hatte werden wollen, das Studium der Rechtswissenschaften an der Katholischen Universität Nimwegen. Er schloss die akademische Ausbildung 1960 mit dem Staatsexamen im Fach "Niederländisches Recht" ab. Im Nebenfach hatte er sich mit "Internationalem Privatrecht" befasst.

Wirken

Berufstätig wurde M. als politischer Redakteur beim "Allgemeen Handelsblad" in Amsterdam (1960-1967). Er arbeitete zunächst als Redakteur im Inlandressort. Später war er Leiter der Redaktion der sog. Meinungsseite, auf der kontroverse Meinungen zu bestimmten Themen veröffentlicht wurden. Mitte der 60er Jahre, als die Provos, Kabouters und Hippies die Schlagzeilen der Tagespresse dominierten, organisierte M. 1966 während der Provounruhen in Amsterdam einen "Runden Tisch". Die Diskussionen inspirierten ihn, zusammen mit Gesinnungsgenossen die linksliberale Gruppe Demokraten 66 (D'66) mit dem Ziel zu gründen, eine Reform des erstarrten politischen Systems voranzutreiben.

Der eloquente Journalist, dem man eine charismatische Ausstrahlung attestierte, wurde 1967 als D'66-Spitzenkandidat in die Zweite Kammer des Parlaments (Generalstaaten) gewählt. Bei der darauffolgenden Wahl im Nov. 1972 musste die Partei einen empfindlichen Rückschlag hinnehmen und fünf ihrer 11 Mandate abgeben. 1974 legte M. den Fraktionsvorsitz nieder. Bei den folgenden Wahlen im Mai 1977 stieg die Zahl der D'66-Mandate wieder auf 8 Sitze an. M. zog sich dennoch vorübergehend aus der aktiven Politik zurück. Ministerpräsident Andreas van Agt von den Christlichen Demokraten (CDA) beteiligte im Sept. 1981 die D'66 an der Regierung und übertrug M. das Verteidigungsministerium in seinem 2. und 3. Kabinett. Bei der Wahl im Mai 1981 waren an die Demokraten 66 17 Sitze gegangen. Im darauffolgenden Jahr verwies Ministerpräsident Ruud Lubbers (CDA) nach van Agts Rücktritt am 4. Nov. 1982 die Demokraten 66 in die Opposition und beteiligte stattdessen die Sozialdemokraten (PvdA) und die Rechtsliberalen (VVD) an der Regierung.

Von 1983 bis 1986 vertrat M. seine Partei als Senator in der Ersten Kammer. In dieser Zeit wurde ihm auch das Amt eines Generalsekretärs der Westeuropäischen Union (WEU) angetragen, das er jedoch dankend ablehnte. Bei den Parlamentswahlen im Mai 1986 kehrte er wieder als Abgeordneter in die Zweite Kammer zurück und übernahm auch erneut den Fraktionsvorsitz.

Eines seiner konsequent verfolgten Ziele war in der Folge der Wunsch, die CDA aus der Regierung zu verdrängen, doch behauptete Premier Lubbers auch 1989 das Feld und bildete mit der PvdA die neue Regierung. Erst 1994 erlitten die Christdemokraten bei den Neuwahlen am 2. März mit dem Verlust von 20 ihrer 54 Mandate eine verheerende Schlappe und blieben nur mit einem Mandat Vorsprung vor den Sozialdemokraten gerade noch stärkste Fraktion. M.s Partei konnte die Mandatszahl von 12 auf 24 verdoppeln und erreichte 15,6 % der Stimmen. M. mühte sich danach beharrlich um das Zustandekommen einer sogenannten "lila" Regierung aus Sozialdemokraten und den beiden liberalen Parteien (D'66 und VVD). Erste Koalitionsgespräche scheiterten zunächst, und erst am 22. Aug. 1994 konnte nach weiteren wochenlangen Verhandlungen die von M. angestrebte Koalitionsregierung unter Führung von Wim Kok (PvdA) vereidigt werden. Ebenso wie VVD-Chef Hans Dijkstal wurde M. einer der Vizeministerpräsidenten und zusätzlich Außenminister. Er trat dabei die Nachfolge von Pieter Kooijmans an.

Mit M. übernahm ein überzeugter "Atlantiker" und "Europäer" die Leitung des Außenressorts. Immer wieder hatte er in der Vergangenheit ein größeres Europaengagement der Niederlande angemahnt und sich auch für eine Verbesserung der nach wie vor ressentimentbeladenen Beziehungen zum deutschen und belgischen Nachbarn ausgesprochen. Nicht zuletzt wegen seiner "virtuosen Darstellungskunst" (vgl. SZ, 24.8.1994) galt er als einer der populärsten Politiker der Niederlande.

Im Verlauf der vierjährigen Legislaturperiode (1994-1998) brach M. mit der unter seinen Vorgängern Kooijmans und Hans van den Broek (CDA) praktizierten Pro-Amerika-Politik und versuchte, die Niederlande als soliden Partner der großen EU-Staaten zu etablieren. Stärker als sein Vorgänger orientierte er sich an Deutschland und legte diese neue Linie in einem offiziellen Papier zur "Neuausrichtung" der Außenpolitik fest. Während des EU-Vorsitzes seines Landes (1. Halbjahr 1997) setzte er sich bei der mühsamen weiteren Reform der Union für eine "substanzielle und bedeutungsvolle Übereinstimmung" ein (vgl. Hbl., 20./21.12.1996), und der im sog. "Amsterdamer Vertrag" (1997) festgelegte Minimalkompromiss galt trotz aller Abstriche als sein größter politischer Erfolg. Vergeblich versuchte M. im Frühjahr 1997, im Namen der EU bei der UNO-Menschenrechtskommission in Genf Resolutionen gegen Verstöße in Zaire, Birma, Irak und Iran vorzubringen. Gegen eine China-kritische Resolution wehrten sich vor allem die Bundesregierung und Frankreich.

Heftig kritisiert wurde M. in den Niederlanden im Aug. 1997 im Zusammenhang mit der in Brasilien vereitelten Verhaftung des Desi Bouterse, Ex-Diktator der fr. niederländischen Kolonie Surinam, der als mutmaßlicher Drogenhändler vor Gericht gestellt werden sollte. Auch lastete man ihm mit die gescheiterte Kandidatur von Ex-Premier Ruud Lubbers für den Posten des NATO-Generalsekretärs und die nicht perfekt vorbereitete Kandidatur Wim Duisenbergs (EZB) für den Chefposten der Europäischen Zentralbank an.

Im Vorfeld der Parlamentswahl vom Mai 1998 prognostizierte man für die D'66 erhebliche Stimmenverluste und verwies dabei auf die Tatsache, dass das Profil der kleinen Partei zwischen den beiden großen Koalitionspartnern verblasste. Für nicht geglückt hielten viele Parteimitglieder auch die Entscheidung des D'66-Präsidiums, Gesundheitsministerin Els Borst anstelle des 1997 vom Parteivorsitz zurückgetretenen M. zur Spitzenkandidatin zu küren. "Oma Els" galt als zu "farblos" und aufgrund ihres Jahrgangs (1932) als zu wenig zugkräftig beim eher jugendlichen Wahlklientel.

Erwartungsgemäß verloren die Demokraten 66 bei der Parlamentswahl am 6. Mai 1998 zehn ihrer 24 Sitze und 6,5 % der Stimmen, während Koks PvdA mit 29,0 % der Stimmen die mit Abstand stärkste und die Rechtsliberalen mit 24,7 % zweitstärkste Fraktion wurden. M. übernahm ausdrücklich einen Teil der Verantwortung für die schwere Wahlniederlage und erklärte im Juli 1998 seinen Abschied von der Politik, um jüngeren Kräften in seiner Partei nicht im Weg zu stehen. In der neuen Koalitionsregierung von Ministerpräsident Kok löste am 3. Aug. 1998 Jozias van Aartsen (VVD) M. im Außenamt ab.

2002 zählte M. noch zu den Mitgliedern des Konvents für eine Reform der EU.

Familie

M. heiratete 2009 seine langjährige Lebensgefährtin, die Schriftstellerin Connie Palmen. M., der als begnadeter Genießer des Lebens galt, war auch ein Freund von Literaten wie Harry Mulisch und Cees Nooteboom und war selbst lange Jahre als Redakteur bei der Literaturzeitschrift "De Gids" tätig. Er beteiligte sich ferner an der Produktion einiger Fernsehsendungen. M. wohnte auf Amsterdams feinster Adresse, der Herengracht. Er starb im März 2010 im Alter von 78 Jahren an den Folgen einer Lebererkrankung in Amsterdam.

Mitgliedschaften

Mitgliedschaften u. a.: M. beschäftigte sich intensiv mit Ost-West-Fragen und arbeitete in verschiedenen nationalen und internationalen Kommissionen, darunter in der Kommission für Entwicklungszusammenarbeit Niederlande-Surinam (CONS) und im Beirat für Verteidigungsfragen (ADA). Er bekleidete zudem verschiedene Funktionen in Literaturverbänden und anderen kulturellen Organisationen.



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