Helmut Quaritsch
deutscher Jurist; Prof.; Dr. jur.Geburtstag: | 20. April 1930 Hamburg |
Todestag: | 19. August 2011 Speyer |
Nation: | Deutschland - Bundesrepublik |
Geburtstag: | 20. April 1930 Hamburg |
Todestag: | 19. August 2011 Speyer |
Nation: | Deutschland - Bundesrepublik |
Internationales Biographisches Archiv 28/2014 vom
Helmut Quaritsch, ev., wurde am 20. April 1930 in Hamburg geboren. Der Vater war Kapitän der Handelsmarine. Q. hat eine Schwester namens Herta.
Q. erlebte das Kriegsende als gerade 15-Jähriger im Volkssturm. Er legte in Hamburg das Abitur ab und studierte dort auch Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaften. 1957 wurde er mit der Dissertation "Die Aussetzung der Vollziehung von Verwaltungsakten" im Fach Jura promoviert, 1958 legte er das Zweite juristische Staatsexamen ab. 1960 erhielt er als erster deutscher Absolvent eine Zulassung zur École nationale d'administration (ENA), der französischen Kaderschmiede für den Staatsdienst. 1965 folgte die Habilitation bei Hans-Peter Ipsen auf Grundlage der 1970 veröffentlichten Arbeit "Staat und Souveränität", in welcher Q. die Entstehung des modernen Staatsgedankens analysierte. Wesentliche Quelle für sein Denken über den souveränen Staat stellte das damals noch wenig beachtete Werk von Jean Bodin (1530-1596) dar. Q. arbeitete dabei die Idee eines starken Staats (bei Bodin eine Monarchie) als Schutz vor Anarchie und Egoismen heraus. Q. zeigte freilich auch auf, dass Bodin - anders als der etwas ältere Niccolo Machiavelli - den Staat nicht als etwas Absolutes ansah, sondern an die "loix de Dieu et de nature" gebunden. (vgl. DZ, 24.12.1971)
UniversitätslaufbahnWährend seiner Assistentenzeit an der Universität Hamburg lancierte Q. mit anderen angehenden Staatsrechtlern wie Roman Herzog das Projekt, regelmäßig Kongresse für den akademischen Nachwuchs ihrer Zunft im deutschsprachigen Raum abzuhalten. Seit 1961 fand dann seither jährlich die "Assistententagung Öffentliches Recht" statt. 1965 erhielt Q. einen Lehrauftrag in Hamburg, und bereits im Jan.1966 übernahm er einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Universität Bochum. 1968 wurde er Ordinarius an der Freien Universität Berlin. Er fand während der Studentenbewegung Aufmerksamkeit (z. B. SPIEGEL, 26.5.1969), da er trotz Streikaufrufen seine Lehrveranstaltungen abhielt und sich auch mit Eiern bewerfen ließ.
In der BundestagsverwaltungIm Frühjahr 1970 übernahm Q. in Bonn im Rang eines Ministerialdirektors die Leitung der wissenschaftlichen Abteilung in der Bundestagsverwaltung und ging unter Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel (CDU) an deren Ausbau wie an deren Systematisierung. Die wissenschaftlichen Dienste mit anfangs 70 akademischen Mitarbeitern (1970) umfassten schon zuvor die Dokumentation (Protokolle, Presseauswertung, Amtsdrucksachen), eine zielstrebig ausgebaute Bibliothek sowie Recherche- und Gutachtendienste für die Abgeordneten, deren Referenten und die Ausschüsse. Die Beanspruchung hatte zuletzt deutlich zugenommen. Q. baute in der Folge die wissenschaftlichen Dienste auch personell zur zweitgrößten Einrichtung ihrer Art (nach dem US-Kongress) deutlich aus. Q. leitete zudem Vorarbeiten für die Erfassung der Akten durch die elektronische Datenverarbeitung ein, um so ein digitales Informationssystem aufzubauen. Organisatorisch systematisierte er die ab 1949 rein pragmatisch geordneten Aktivitäten thematisch in fachliche Gruppen und führte die Dienste für die Abgeordneten mit denjenigen für die Ausschüsse zusammen. Dies bewährte sich allerdings nicht, so dass die Ausschuss-Dienste später, 1975, wieder eine eigene Organisation erhielten. Diese Gliederung wurde seither beibehalten. Q. blieb auch in den Bonner Jahren freilich "mit einem Bein" in der Wissenschaft, hielt weiterhin Vorlesungen und schied Anfang 1973 aus dem Dienst für die Legislative aus.
Professor in SpeyerBereits 1972 nahm Q. den Ruf als Ordinarius für Staatsrecht und Staatslehre an die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaft in Speyer an, der er bis zur Emeritierung 1998 verbunden blieb. 1981-1983 war er zudem Rektor in Speyer. Er schätzte die Ergebnisorientierung dieser Postgraduierten-Einrichtung ohne den Lehrbetrieb mit Studenten. In Fachkreisen war er für hohe wissenschaftliche Standards geachtet und durchaus gefürchtet. Immer wieder beklagte er nämlich, auch Kollegen ließen fachliche Standards in politisch motivierten Gutachten vermissen. Ab Herbst 1990 ging Q. im Zuge der Wiedervereinigung mehrfach als Gastdozent nach Jena.
Seine Forschungsschwerpunkte legte Q. auf Ausländer-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht, Öffentliches Dienstrecht sowie Staats- und Souveränitätstheorien der Neuzeit (besonders Jean Bodin und Carl Schmitt). Hinzu kamen Verfassungs- und zeitgeschichtliche Untersuchungen. Mit seiner Theoretisierung des Staates verlegte sich Q. auf ein Thema ganz wider den wissenschaftlichen Zeitgeist, insbesondere der 70er Jahre. Damals dominierte insbesondere in der Politikwissenschaft das Konzept eines politischen Systems mit gesellschaftlichen Gruppen als maßgeblichen Akteuren und dem Staat allenfalls in der Rolle eines Dienstleisters. Q. stellte dem ein klassisches Bild gegenüber, mit dem Staat als Garanten des Gemeinwohls über der Gesellschaft, der als ein eigenes Wesen mehr als die Summe der Verwaltungseinrichtungen und mehr als ein Mittler sei. Entsprechend formulierte er in "Probleme der Selbstdarstellung des Staates" (1977) auch die Notwendigkeit, den Staat durch Symbole und Sinnvermittlung öffentlich erfahrbar zu machen.
Q. liebte die Provokation und formulierte 1979 auf einer Tagung, die deutsche Zweistaatlichkeit sei Resultat der Fremdbestimmung, die verschwände, wenn die Deutschen dies selbst bestimmen könnten (vgl. FAZ, 19.4.2010). Immer wieder positionierte er sich gegen den ihm zufolge linken Zeitgeist, was in Veröffentlichungen wie "Recht auf Asyl: Studien zu einem missdeuteten Grundrecht" (1985) deutlich wurde. Seit den 80er Jahren wandte er sich mehrfach dem wissenschaftlich höchst anspruchsvollen und unbestrittenen Werk des allerdings umstrittenen Staatsrechtlers Carl Schmitt (1888-1985) zu. Schmitt war nach 1945 verfemt, da er zumindest zeitweise aufgrund seiner Staatsvorstellung offene Sympathien für die NS-Diktatur gezeigt und schon in den 20er Jahren den Staat durch demokratische Einrichtungen wie auch durch gesellschaftliche Gruppen gefährdet gesehen hatte. Ohne Schmitt zu verharmlosen, schuf Q. mittels einer differenzierten Betrachtung neue Zugänge zu dem komplexen Œuvre und trug maßgeblich zur Renaissance des Werks von Schmitt seit den 90er Jahren bei. In Fachkreisen Beachtung fand im Jahr 2000 der Band "Carl Schmitt. Antworten in Nürnberg", eine Dokumentation (samt Kommentierung durch Q.) über die Verhöre und Stellungnahmen des Staatsrechtlers während einer Inhaftierung 1947.
Autor (u. a.): "Das parlamentslose Parlamentsgesetz" (61), "Staat und Souveränität" (70; Habil.), "Schulmündigkeit und Schulvertrag" (71; Koautor), "Demokratisierung. Möglichkeiten und Grenzen" (76; Koautor), "Probleme der Selbstdarstellung des Staates" (77), "Einwanderungsland Bundesrepublik Deutschland?" (81), "Recht auf Asyl: Studien zu einem missdeuteten Grundrecht" (85), "Souveränität: Entstehung und Entwicklung des Begriffs in Frankreich und Deutschland vom 13. Jh. bis 1806" (86), "Positionen und Begriffe Carl Schmitts" (89), "Carl Schmitt. Antworten in Nürnberg" (00).
Herausgeber: "Complexio oppositorum : über Carl Schmitt" (88), "Hundert Jahre Windhunde" (92), "Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz 'Nullum crimen, nulla poena sine lege'" (94; zu Carl Schmitt).
Literatur: "Staat - Souveränität - Verfassung : Festschrift für Helmut Quaritsch zum 70. Geburtstag" (00; hrsg. von D. Murswiek), "Souveränitätsprobleme der Neuzeit: Freundesgabe für Helmut Quaritsch anlässlich seines 80. Geburtstages" (10; hrsg. von H.-C. Kraus).
Frühere Ehrenämter: Vorsitzender der Vereinigung für Verfassungsgeschichte, Vorstand der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer, Präsident des Deutschen Windhundzucht- und -rennverbandes.
Q. war verheiratet mit Helma, geb. Fricke, einer pensionierten Richterin. Aus erster Ehe hatte er zwei erwachsene Söhne, Gerrald (Dipl.-Sportlehrer) und Matthias (ab 2004 Leiter der Unternehmenskommunikation Flughafen Hamburg). Im Alter von 81 Jahren starb Q. am 19. Aug. 2011 in Speyer.
Letzte Adresse: Otterstadter Weg 139, 67346 Speyer