Erwin Wurm
Geburtstag: |
|
Nation: |
|
Geburtstag: |
|
Nation: |
|
Internationales Biographisches Archiv
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW
Erwin Wurm wurde am 27. Juli 1954 in Bruck an der Mur in der Steiermark geboren. Sein Vater, ein Kriminalbeamter mit Nazi-Vergangenheit, konnte nur schwer akzeptieren, dass sein Sohn Künstler werden wollte, und verlangte von W. zunächst ein Examen als Kunsterzieher. Beide Eltern starben kurz hintereinander an schweren Krankheiten, 1995 der Vater W.s, danach pflegte er seine Mutter eineinhalb Jahre lang, bis sie starb.
W. studierte 1974-1977 Kunstgeschichte und Germanistik an der Universität Graz und wechselte dann für zwei Jahre für ein Studium der Kunst- und Werkerziehung an die Hochschule für Darstellende Kunst in Salzburg. 1979-1982 absolvierte er im Bereich Bildhauerei bei
Anfänge mit Skulpturen als Ready-MadesAus Geldmangel fertigte W. zu Beginn seiner Künstlerkarriere Anfang der 1980er Jahre vornehmlich Holz- und Blechskulpturen, "klassische Skulpturen", wie er sie selbst nannte. Er nutzte dazu Abfallprodukte und Alltagsgegenstände, die er mit Blei und Farbe überzog. Hierbei lotete er den Grenzbereich zwischen Objekt und Skulptur aus. Dieser ökonomische Aspekt - wenngleich unter weniger existenziellen Vorzeichen - ist auch heute noch ein Charakteristikum des mittlerweile international erfolgreichen Bildhauers. Im weiteren Verlauf seiner künstlerischen Karriere verzichtete W. vollständig auf stabile Materialität und erweiterte den Skulpturbegriff. In der Fortführung und unter Einfluss von Duchamps Ready-Mades integrierte er Alltagsgegenstände sowie Menschen in seinen skulpturalen Prozess. Vor dem Hintergrund der Verbindung von Kunst und Leben setzte W. nach Meinung des Kritischen Lexikons der Gegenwartskunst (3/2000) die Idee von
Umdeutung des SkulpturalenIn seinen Pullover-Serien Ende der 1980er Jahre heftete W. Pullover mit Nägeln an die Wand, die so die Formen des menschlichen Körpers sichtbar machten, zugleich aber auf die Abwesenheit des Menschen verwiesen. Ähnlich verhielt es sich mit W.s ephemeren "Dust Pieces", die zwischen 1988 und 1993 entstanden. Auf einem New Yorker Platz konnte man bei genauem Hinsehen ein staubfreies, frei gefegtes Quadrat als Skulptur im öffentlichen Raum entdecken. Diese Staubskulpturen gaben Zeugnis von nicht mehr vorhandenen Objekten und kamen einer "Nobilitierung des Nichts" gleich, wie die Süddeutsche Zeitung (5.11.2006) schrieb. Unterschiedliche Kleidungsstücke wie Mäntel, Hosen, Hemden, Jacken und Pullover stülpte W. in späteren Arbeiten über kubische oder röhrenartige Formen, so dass ihre ursprüngliche Form verloren ging und ihre eigentliche Funktion ad absurdum geführt wurde. Einen durchschlagenden Erfolg erzielte W. 1992 mit dem Video "59 Stellungen", in denen der Künstler selbst in Pullover und Mäntel schlüpfte und ungewohnte, bizarre, amorphe oder bisweilen torsoartige Positionen einnahm.
Menschen als Teil einer Moment-SkulpturInternationales Aufsehen erregte W. Ende der 1990er Jahre mit seinen "One Minute Sculptures". Diese Arbeiten halfen ihm aus einer großen persönlichen Krise. In den von ihm inszenierten Momentskulpturen konnten Museumsbesucher oder andere Freiwillige nach Anleitung selbst zur Skulptur werden und beispielsweise Essiggurken zwischen die nackten Zehen nehmen oder - wie im Falle eines korrekt gekleideten Geschäftsmannes - vor einer Bankfiliale Spargelstangen in die Nasenlöcher stecken. Um diese flüchtigen, von W. "eine lächerliche Situation" (SZ, 25.10.2008) genannten Skulpturen, die auf
Deformation des Körperlichen in der Skulptur1998 entstanden im schweizerischen Appenzell die bekannten, humorvoll-absurden "Outdoor Sculptures" mit nackten Damenbeinen, die aus einem Fenster ragen oder dem fotografisch "eingefrorenen" Moment, in dem der Protagonist bäuchlings akrobatisch über einem Halteverbotsschild turnt. Über eine Zeitungsannonce fand W. 1999 Modelle im französischen Cahors, die für seine "Self Service Series" die Beine aus Mülltonnen herausstreckten. Seit 2001 nahm die Beschäftigung mit Volumina im Werk W.s einen Schwerpunkt ein, wie eine Werkschau (2002/2003) in Graz dokumentierte, die weiter nach Paris, Bologna und Karlsruhe zog. Zu sehen war dort u. a. ein als Künstlerbuch gestalteter Diätplan mit einer "Anleitung zum Dickerwerden", mit dessen Hilfe man umweglos binnen weniger Tage um zwei Konfektionsgrößen zunehmen kann. Deformation als formales Konzept bezeugten ebenso seine Autoskulpturen "Fat Cars" - aufgedunsene, aus den Nähten gehende Autos mit einer Außenhaut aus mehreren Schichten polierten und lackierten Polyesters - sowie die wulstigen Hausskulpturen "Fat Houses", die nur durch ein Satteldach in Form gehalten wurden. Zu seinen jüngeren Arbeiten zählen "The Artist who swallowed the world" und "The Artist who swallowed the world when it was still a disk", beide 2006, in denen er ebenfalls deformierte Körper thematisierte. Nach mehreren großen Einzelausstellungen, z. B. 2007 in den Hamburger Deichtorhallen, 2009 im Lenbachhaus München oder 2010 im Kunstmuseum Bonn, wurden im gleichen Jahr im Museum der Moderne in Salzburg unter dem Titel "Selbstporträt als Essiggurkerl" Arbeiten von W. gezeigt; das titelgebende Porträt erwarb das Museum. 36 Selbstporträts in Form von Essiggurken, in Acryl gegossene und naturalistisch bemalte Essiggurken und Salatgurken, standen als Unikate auf weißen Podesten. Starkes Interesse erhielt 2010 auch die Ausstellung im Essl-Museum - Kunst der Gegenwart in Wien/Klosterneuburg, die unter dem Titel "Private Wurm" neue Arbeiten, u. a. einen auf ca. ein Sechstel in der Breite zusammengequetschten, ansonsten originalgetreuen Nachbau seines Elternhauses zeigte. 2012 befasste sich W. in einer neuen Werkgruppe "medienübergreifend mit dem Thema des menschlichen Körpers" und konfrontierte dabei den "Körperbegriff des 21. Jahrhunderts mit der Körpersprache der Gotik" (Art, 3.1.2013); diese Arbeiten wurden in der Albertina ausgestellt. Weitere größere Ausstellungen zeigten das Kunsthaus Graz, das Belvedere und das Leopold-Museum in Wien 2017, das eine Gegenüberstellung von W.s Werken mit Spitzweg-Gemälden zeigte, das Lehmbruck-Museum in Duisburg 2017 und das Kunstmuseum Luzern 2018.
LehrtätigkeitNeben Arbeitsaufenthalten in Los Angeles (1992) und New York (1994) hatte W. Gastprofessuren in Paris an der École des Beaux Arts (1995) und an der Universität in Linz (1996) inne. Von 2002 an lehrte er als Professor am Institut für Bildende und Mediale Kunst der Universität für Angewandte Kunst in Wien. 2010 kündigte er die Professur, weil seine künstlerische Arbeit ihn völlig beanspruchte und die Professur in Österreich nur wenig einbrachte (Standard, 5.2.2011). Im Jahr 2017 vertrat W., zusammen mit
Künstlerische Einordnung, Selbstsicht und RezeptionDie Frankfurter Allgemeine Zeitung (24.2.2007) würdigte W., der in über 430 Gruppen- und über 100 Solo-Ausstellungen in aller Welt (Stand 2012) vertreten war, bei einem Atelierbesuch in Wien als "großen Erben der Surrealisten, der begeistert und irritiert mit Aktionen voller Komik und Hintersinn". Für W. könne alles zur Skulptur werden und er thematisiere dabei "Schlankheitswahn und Fettsucht, Mode, Werbung und den Konsumkult der Warenwelt". W. sei "stets auf der Suche nach Formen, in denen sich Skulptur zur Handlung ausweitet", formulierte das Kunstmagazin Art (3.1.2013). 2008 gestaltete W., der sich selbst als politisch denkenden Menschen, aber nicht als politischen Künstler sieht (Standard, 24.7.2010), eine Ausgabe des ZEIT-Magazins mit "gemeinen" Sprüchen, d. h. einer "Anleitung zur politischen Unkorrektheit in 44 Sätzen" und erntete dafür größtenteils harsche Kritik. Er selbst wollte seinen kritischen Ansatz lieber mit den Begriffen Humor und Zynismus beschreiben (a. a. O.). Für seine kulturellen und künstlerischen Leistungen erhielt W. im Juli 2013 den Großen Österreichischen Staatspreis. Sein "außerordentlich vielschichtiges Werk" sei "überaus facettenreich, radikal, satirisch, ironisch und surreal", hieß es in der Begründung (Standard, 21.3.2013). W. versteht sich nach eigenen Worten als "europäischer oder als Weltkünstler" (www.dear-magazin.de, 21.10.2017).
W. lebt und arbeitet in einem Atelier in Limberg/Niederösterreich. Er hat zwei Söhne aus früherer Ehe mit der Künstlerin Dorothee Golz (1997 geschieden) und ist seit 2010 mit der Künstlerin Elise Mougin verheiratet, mit der er eine Tochter hat.
Einzelausstellungen u. a.: Museum moderner Kunst, Wien (94), Museum für Angewandte Kunst, Wien (96), Künstlerhaus Bremen (97), Kunsthaus Bregenz (99), Musée d'Art Moderne et Contemporain Genf (01), Graz (02), Museo D'Arte Contemporanea Roma (05), Cincinnati Contemporary Art Center (05), Museo do Chiado Lissabon (05), Museum of Contemporary Art Sydney (05), Peggy Guggenheim Collection Venedig (05), Baltic Centre for Contemporary Art Newcastle (06), MUMOK Wien (06), Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen (06), Museum der Moderne Salzburg (06), Kunstraum Innsbruck (06), Deichtorhallen Hamburg (07), Kunstmuseum St. Gallen (07), Malmö Konstmuseum (07), Erwin Wurm - Hamlet Kunsthaus Zürich (07), Lenbachhaus München (09), Kunstmuseum Bonn (10), Museum der Moderne in Salzburg (10), Essl-Museum in Klosterneuburg (10), Albertina Wien (12), Städel Museum Frankfurt (14), Kunstmuseum Wolfsburg (15), Skulpturenpark Waldfrieden Wuppertal (15), Berlinische Galerie (16), Kunsthaus Graz (17), Belvedere Wien (17), Lehmbruck-Museum Duisburg (17), Leopold-Museum Wien (17), Kunstmuseum Luzern (18), Ludwig Museum Budapest (18), König Galerie Berlin (19). Werke in öff. Sammlungen u. a.: Albertina Wien, Vancouver Art Gallery, Centre Pompidou Paris, Musée National d'Art Moderne Paris, Kunstmuseum Bonn, Museo d'Arte Moderna Bologna, CAC Málaga, Kunsthaus Zürich, Guggenheim Museum New York, Walker Art Center Minneapolis. Veröffentlichungen: "Von Konfektionsgröße 50 zu 54 in acht Tagen: 1993-2006" (07), "Kunstwerkstatt Erwin Wurm" (08).
8. Mai 2021 - 5. Dezember 2021: Im Museum für Angewandte Kunst in Wien werden in der Ausstellung "Dissolution" Skulpturen von
2022:
24. Februar 2022 - 17. April 2022: Das Kleine Haus der Kunst in Wien zeigt eine Einzelausstellung zu den Werken von
1. September 2022: In Bonn wird die Skulptur "Walking Bag" von
10. Juni 2023 - 28. April 2024: Der Yorkshire Sculpture Park in Wakefield widmet
13. September 2024 - 23. Februar 2025: Das Albertina Modern in Wien widmet
Literatur: "Erwin Wurm - Der Künstler, der die Welt verschluckt". Dokumentarfilm von Laurin Merz, 52 Min., gesendet auf Arte (13).
Auszeichnungen u. a.: Otto-Mauer-Preis (84), Preis der Stadt Wien für Bildende Kunst (93), Kunstpreis der Stadt Graz (04), Künstler des Jahres (07), Großer Österreichischer Staatspreis (13).
Mitgliedschaften: 1993-1999 war W. im Vorstand der Wiener Secession, 1995 Vizepräsident.
c/o Studio Erwin Wurm, 3721 Limberg, Österreich, E-Mail: studio@erwinwurm.at, Internet: www.erwinwurm.at
c/o Galerie Thaddaeus Ropac, Mirabellplatz 2, 5020 Salzburg, Österreich, Tel.: +43 662 8813930, E-Mail: salzburg@ropac.net