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Deniz Baykal

Deniz Baykal

türkischer Jurist und Politiker; Parteivorsitzender der CHP (1992-1999, 2001-2010); Dr. jur.
Geburtstag: 20. Juli 1938 Antalya
Todestag: 11. Februar 2023 Ankara
Nation: Türkei

Internationales Biographisches Archiv 37/2010 vom 14. September 2010 (hu)
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 06/2023


Blick in die Presse

Herkunft

Deniz Baykal wurde am 20. Juli 1938 in Antalya am Mittelmeer geboren. Seine Vorfahren waren als muslimische Flüchtlinge aus dem Kaukasus in die Türkei gekommen.

Ausbildung

B. studierte Rechtswissenschaften an der Universität Ankara und war dort nach Abschluss des Studiums als Assistent für Verfassungsrecht tätig. 1963 bis 1965 arbeitete er in den USA an seiner juristischen Dissertation.

Wirken

Politische Anfänge in der Republikanischen Volkspartei (CHP) ab Ende der 60er Jahre 1968 wurde B. Dozent für Politische Wissenschaften in Ankara. Etwas später ging er in die Politik und schloss sich der kemalistisch-sozialistischen Republikanischen Volkspartei (Cumhuriyet Halk Partisi; CHP) an, die seit Gründung der Republik durch Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938) im Jahr 1923 über Jahrzehnte die bedeutendste politische Kraft der Türkei war. Als Parteichef amtierte 34 Jahre lang bis 1972 ein Mitstreiter Atatürks, General Ismet Inönü († 1973). Sein Nachfolger Bülent Ecevit († 2006) bildete 1972 nach einer Regierungskrise eine Koalitionsregierung mit der islamisch-fundamentalistischen Wohlfahrtspartei (RP) des religiösen Eiferers Necmettın Erbakan - B. galt damals schon als Architekt dieser Koalition.

Erste politische Ämter in der Ära Ecevit: Nach der Parlamentswahl vom Okt. 1973 zog B. als Abgeordneter der CHP erstmals für die Provinz Antalya in die Große Nationalversammlung, das türkische Parlament, ein. Anfang Febr. 1974 berief ihn Ministerpräsident Ecevit zum Finanzminister. In seine Amtszeit fiel u. a. am 15. Juli 1974 die Besetzung des Nordteils von Zypern durch türkische Truppen zur Verhinderung der sog. "Enosis" (Vereinigung Zyperns mit Griechenland). Im Sept. 1974 trat Ecevit schon wieder von seinem Amt zurück, um bei vorgezogenen Wahlen die Mandatszahl zu verbessern. Nach mehrmonatiger Regierungskrise ohne Neuwahl kam es zur Bildung einer konservativen Koalitionsregierung unter Führung von Süleyman Demirel, dem Chef der Gerechtigkeitspartei (AP), und der RP. Aus der Wahl im Juni 1977 ging die CHP zwar als Wahlsieger hervor, doch konnte sich Ecevit nur einen Monat am Ruder halten. Aber auch Demirels folgendes Intermezzo als Premier war von ebenso geringer Dauer, denn bereits im Jan. 1978 löste ihn erneut Ecevit ab. Diesmal bekam B. im Kabinett das Ressort für Energie und natürliche Ressourcen übertragen (bis 1978). Am 15. Okt. 1979 wurde Ecevit wieder gestürzt und Demirel am 12. Nov. zum sechsten Mal als Premier vereidigt.

Politikverbot und Neuorganisation nach dem Militärputsch von 1980Das dauernde Hin und Her zwischen CHP und AP blockierte nach Analystenmeinung eine sachbezogene Politik und lieferte dem Militär einen Vorwand zum Putsch am 12. Sept. 1980, dem 1981 ein Verbot der Parteien folgte. B. gehörte zu den rd. 100 Politikern, die mit einem Politikverbot belegt wurden, und nahm eine Tätigkeit als Anwalt auf.

Nach Aufhebung des Parteienverbots im Mai 1983 stieß B. zunächst zur Sozialdemokratischen Volkspartei (SHP), wo er bald zweiter Mann hinter Parteichef Erdal Inönü († 2007), dem Sohn des früheren Präsidenten, wurde. Zunächst dominierte aber ab 1983 die liberalkonservative Mutterlandspartei (ANAP) unter Führung von Turgut Özal († 1993) die jedoch kontinuierlich ihren Rückhalt in der Bevölkerung verlor und in der Wahl vom Okt. 1991 von Demirels neuer Partei des Rechten Weges (DYP) überholt wurde. Demirel bildete im November eine Koalitionsregierung mit der SHP. B., der die sozialdemokratischen Inhalte seiner Partei zu wenig berücksichtigt sah, wurde zum scharfen Kritiker Inönüs. Vergeblich versuchte er, den Parteivorsitzenden von seinem Posten zu verdrängen.

Parteivorsitzender nach Wiederzulassung der CHP ab 1992 B. verließ die Sozialdemokraten und schloss sich mit Wiederzulassung der CHP seiner alten Partei an. Auf deren Wiedereröffnungsversammlung 1992, an der ihr letzter Vorsitzender Ecevit nicht teilnahm, wurde B. zum neuen Parteichef gewählt. Nachdem die SHP als Juniorpartner in der neuen Regierung von Tansu Çiller (DYP) ab 1993 und durch Inönüs Abgang stetig an Boden verloren hatten, fusionierte die Partei im Febr. 1995 mit der CHP. Nach der Verschmelzung verließ B. nach Beobachtermeinung den alten starken Linkskurs und gab der vergrößerten CHP ein neues Profil als westlich orientierte, weiter zur Mitte gewandte sozialdemokratische "anatolische Linke". Unter seiner Ägide wurde im September auch die geerbte SHP-Koalition mit der DYP beendet. Ministerpräsidentin Çiller versuchte noch, mit einer Minderheitsregierung weiter zu regieren, scheiterte jedoch in einer Vertrauensabstimmung am 15. Okt. Als die Türkei praktisch ohne Regierung dastand, erklärte sich B. bereit, die bisherige Koalition bis zu vorgezogenen Wahlen wieder aufleben zu lassen und übernahm dabei den Posten des Vizepremiers und Außenministers.

Bei der Parlamentswahl im Dez. 1995 setzte sich die Wohlfahrtspartei mit 21,3 % der abgegebenen Stimmen und 158 der 550 Sitze an die Spitze. Es folgten die DYP (19,6 %, 135 Sitze), die ANAP (19,2 %, 132) sowie Ecevits neue Demokratische Linkspartei (DSP; 14,6 %, 76). Die CHP verlor mit nur 10,7 % und 49 Sitzen deutlich an Boden, wobei der politische Kurswechsel sowie B.s politisches Taktieren im Herbst 1995 nach Auffassung von Landeskennern eine Rolle spielten. Offensichtlich war es B. und seiner Partei auch nicht gelungen, sich im Vergleich mit der DSP als die "bessere" sozialdemokratische Partei zu profilieren. Im nachfolgenden Parteiengerangel kam es im März 1996 zunächst zu einer Koalition der DYP mit der ANAP unter Premier Çiller zur Verhinderung einer Regierungsbeteiligung der Wohlfahrtspartei. In der folgenden Zeit konnte die Koalitionsregierung Analysten zufolge allerdings wenig überzeugen und erwies sich als nicht in der Lage, die großen, v. a. wirtschaftlichen Probleme des Landes in den Griff zu bekommen.

Schwierige Jahre ab 1996: Nachdem die ANAP/DYP-Regierung im Juni 1996 zerbrochen war, ging die DYP Ende des Monats eine Koalition mit der Wohlfahrtspartei ein. Dadurch wurde mit Erbakan erstmals ein islamistischer Politiker Regierungschef in der Türkei. Obwohl er sich bemühte, politische Bedenken zu entkräften, wuchs der Widerstand des einflussreichen kemalistischen Militärs, nach eigenem Verständnis Hüter der laizistischen Verfassung. Im Juni 1997 sah sich das Kabinett Erbakan zum Rücktritt gezwungen. Nun bildete der neue ANAP-Chef Mesut Yilmaz eine Minderheitsregierung unter Einbeziehung der DSP.

Am 30. Juli 1998 beschloss das Parlament, einer Übereinkunft von Ministerpräsident Yilmaz und B. vom 15. Juni 1998 folgend, die Abhaltung von vorgezogenen Wahlen im April 1999. Zuvor jedoch wurde Yilmaz Ende Nov. 1998 mit 314 zu 214 Stimmen in der Großen Nationalversammlung per Misstrauensvotum gestürzt. Einer der drei ähnlich formulierten Anträge kam von der CHP, die das Minderheitskabinett Yilmaz bis dahin gestützt hatte. Die beiden anderen kamen von der DYP und der Tugendpartei (FP), einer vorsorglichen Neuformation der RP, die im Jan. 1998 vom Verfassungsgericht verboten worden war. Ein DSP-Interims-Minderheitskabinett unter Führung von Ecevit, das schließlich am 11. Jan. 1999 zustande kam, wurde bis zur April-Wahl von ANAP und DYP unterstützt.

Bei der Parlamentswahl im April 1999 siegte die DSP mit 22,2 % der Stimmen und 136 Sitzen. Zweitstärkste Kraft wurde überraschend die bislang nicht im Parlament vertretene rechtsextreme Partei für Nationalistische Bewegung (MHP) mit ihrem Chef Devlet Bahçeli mit 18,0 % und 129 Sitzen. Die ANAP kam auf 13,2 % und 86 Sitze sowie die DYP auf 12,0 % und 85 Sitze. Die CHP scheiterte mit 8,7 % (-2,0) erstmals an der Zehnprozenthürde und verpasste damit den Einzug ins Parlament. Die Regierung bildete erneut Ecevit aus seiner DSP, diesmal gemeinsam mit MHP und ANAP. B. indes, der große Hoffnungen auf die vorgezogene Wahl gesetzt hatte, trat nach diesem Misserfolg resigniert als Parteichef zurück. Zu seinem Nachfolger wurde auf einem teilweise tumultartig verlaufenen Parteitag am 24. Mai 1999 Altan Öymen gewählt. Doch zwei Jahre später kehrte B. als Parteiführer zurück.

Oppositionsführer gegen Erdoğans AKP ab 2002Die schwere Wirtschaftskrise und die politische Lähmung nach 1999, u. a. durch die Krankheit des Premierministers Ecevit und Meinungsverschiedenheiten in der heterogenen Koalition, erzwangen schließlich 2002 erneut eine vorgezogene Wahl. Das Ergebnis vom November wirbelte die türkische Parteienlandschaft grundlegend durcheinander. Mit 34,4 % der Stimmen und 363 Mandaten gewann die hochfavorisierte gemäßigte islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), die erst im Aug. 2001 u. a. vom populären ehemaligen Istanbuler Oberbürgermeister Recep Tayyip Erdoğan gegründet worden war, eine satte Mehrheit. Während Ecevits DSP mit 1,2 % abgestraft wurde und auch alle anderen Parteien an der Zehnprozenthürde scheiterten, konnte B. nach langer Durststrecke endlich einen Erfolg seiner Partei verzeichnen, die mit 19,4 % der Stimmen auf 178 Mandate kam und als einzige Oppositionspartei mit B. an der Spitze ins Parlament einzog. Politische Kommentatoren hatten schon länger einen wachsenden Unmut in der türkischen Bevölkerung über den stetigen Parteienstreit und die mangelnden wirtschaftlichen Fortschritte ausgemacht. Da AKP-Chef Erdoğan immer noch unter einem gerichtlich verhängten politischen Betätigungsverbots stand, beauftragte der parteilose Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer am 19. Nov. 2002 den zweiten AKP-Mann, Abdullah Gül, mit der Regierungsbildung. Nach Verabschiedung eines umstrittenen sog. "Lex Erdoğan" durch eine große fraktionsübergreifende Mehrheit in der Großen Nationalversammlung konnte der AKP-Vorsitzende schließlich Anfang März zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Gül übernahm als sein Stellvertreter das Außenministerium.

Die eindeutigen Mehrheitsverhältnisse im Parlament ließen dem Oppositionsführer B. wenig politischen Gestaltungsspielraum. Dafür fand die Erdoğan-Regierung in dem säkular ausgerichteten Präsidenten Sezer, der sich nach Meinung der Frankfurter Rundschau (23.2.2004) zum "Bollwerk des Laizismus" entwickelte, ihren schärfsten Gegner. B., der 2003 auch zum Vizepräsidenten der Sozialistischen Internationale (SI) berufen wurde, trat außenpolitisch wie die beiden AKP-Protagonisten zunächst für einen baldigen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union (EU) ein. Als die Gespräche darüber schließlich offiziell am 3. Okt. 2005 in Brüssel begannen, hatte sich B. allerdings schon längst wieder davon abgewandt. In der Zypernfrage blieb er ebenso kompromisslos wie in der Kurdenproblematik. Und auch bei der Umsetzung demokratischer Reformen gerierte er sich zögerlich und hielt am sog. Knebelparagrafen 301 fest, der die "Verunglimpfung des Türkentums" unter Strafe stellt.

Innerparteiliche Machtkämpfe ab 2005 Stärkung erhielt die CHP zunächst im Okt. 2004 als sich ihr die Partei der Neuen Türkei (YTP) des ehemaligen Außenministers Ismail Cem († 2007) anschloss. Per Fernsehen konnte dann eine konsternierte türkische Öffentlichkeit live mitverfolgen wie es auf einem Sonderparteitag der CHP im Jan. 2005 erneut zu blutigen Tumulten kam, die erst durch den Einsatz der Bereitschaftspolizei beendet werden konnten. Ursache der Auseinandersetzung war die Rivalität zwischen B. und seinem Herausforderer, dem Istanbuler Bezirksbürgermeister Mustafa Sarigül. Während B. mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, es sei ihm in seinen 13 Jahren als Parteivorsitzender nicht gelungen, die Partei zu modernisieren und den politischen Veränderungen anzupassen, bezichtigte er seinerseits den Konkurrenten der Bestechlichkeit. Am Ende setzte sich B. zwar mit 674 zu 460 Stimmen bei insgesamt 1.219 Delegierten in einer Kampfabstimmung knapp durch. Doch die Spaltung der CHP "in zwei sich heftig bekämpfende Lager" wertete z. B. die Neue Zürcher Zeitung (1.2.2005) als "Selbstdemontage", die die parlamentarische Opposition "praktisch handlungsunfähig" machte. In der Folgezeit entledigte sich B., der als "Meister der Intrigen" beschrieben wurde, nach und nach seiner innerparteilichen Gegner und besetzte den Parteivorstand mit ihm gewogenen Leuten (vgl. FAZ, 2.5.2007).

Das turbulente Wahljahr 2007 Innenpolitisch entwickelte sich die im Mai 2007 anstehende Wahl eines Nachfolgers für den nach siebenjähriger Amtszeit regulär aus dem Amt scheidenden Präsidenten Sezer zu einer gewaltigen politischen Konfrontation zwischen der religiös motivierten AKP und den kemalistisch-säkularen Kräften, die vor einer Islamisierung der Türkei warnten - vorneweg B. Unmittelbar nach dem ersten Wahlgang in der Großen Nationalversammlung am 27. April, in dem der AKP-Kandidat Gül mit 367 Stimmen knapp an der vorgeschriebenen Zweidrittelmehrheit gescheitert war, rief die CHP das Verfassungsgericht an, um den weiteren Verlauf der Präsidentenwahl zu stoppen. B. hielt die erste Wahlrunde für ungültig, weil daran nicht zwei Drittel aller Abgeordneten teilgenommen hätten. Obwohl unter Verfassungsrechtlern umstritten, wurde der Klage am 1. Mai stattgegeben und der Wahlgang annulliert. Für diesen Fall hatte die Erdoğan-Regierung bereits im Vorfeld vorgezogene Parlamentswahlen angekündigt, die von der Großen Nationalversammlung im Mai auf den 22. Juli festgelegt wurden.

Bei einem weiteren Wahlversuch scheitere Präsidentschaftsbewerber Gül am 6. Mai 2007 erneut, da aufgrund eines Boykotts der CHP neun Abgeordnete weniger anwesend waren als erforderlich, worauf der Außenminister seine Bewerbung zurückzog. Kurz danach blockierte der noch amtierende Präsident Sezer per Veto eine am 10. Mai vom Parlament auf AKP-Initiative verabschiedete Verfassungsänderung, wonach u. a. der Staatspräsident künftig direkt durch das Volk gewählt und seine Amtszeit auf fünf Jahre bei höchstens zwei Amtszeiten festgelegt werden sollte und löste damit eine "der größten politischen Krisen der Türkei" (SZ, 17.6.2007) neuerer Zeit aus. Am 13. Mai kam es in der Hafenstadt Izmir, der einzigen türkischen Großstadt, die zu dieser Zeit von der CHP und nicht von der AKP regiert wurde, zu einer Großdemonstration der laizistischen Bewegung mit rd. zwei Mio. Menschen. Der Konflikt mündete schließlich in eine Volksabstimmung am 22. Okt. 2007.

Nach einem von der CHP mit Hilfe des Militärs aggressiv gegen die AKP geführten Wahlkampf gewann die islamische Partei die vorgezogene Wahl am 22. Juli 2007 erneut deutlich mit 46,7 % (+ 12,4 %) und 340 Sitzen (-23). Neben der MHP (14,3 %, 71 Sitze) sowie 27 zumeist der kurdischen Partei der Demokratischen Gesellschaft (DTP) nahestehende Unabhängige zog das Wahlbündnis aus CHP und DSP (20,8 %, +1,4) mit 112 Abgeordneten (-66), einer davon war B., als stärkste Oppositionskraft in die Große Nationalversammlung ein. Die 13 gewählten DSP-Abgeordneten, die auf der CHP-Liste angetreten waren, machten sich nach Konstituierung des Parlaments jedoch wie angekündigt wieder selbstständig. Vom neuen Parlament wurde endlich auch Gül am 28. Aug. im dritten Wahlgang, in dem die einfache Mehrheit genügte, mit 339 Stimmen zum Präsidenten gewählt. Einen Tag später billigte dieser ein von Ministerpräsident Erdoğan aufgestelltes AKP-Kabinett.

Politischer Abstieg nach 2007 Kommentatoren werteten die Besetzung der drei höchsten Staatsämter durch AKP-Kandidaten, neben Premierminister und Parlamentspräsident v. a. Güls Aufstieg zum Staatsoberhaupt gegen den Widerstand des Militärs, als klare Machtverschiebung zuungunsten des Kemalismus. Auch die Volksabstimmung am 22. Okt. 2007, bei der sich eine klare Mehrheit für eine Direktwahl des Staatspräsidenten aussprach, ging im Sinne der AKP aus. Medienberichten zufolge hatten dem B. und seine CHP außer einem streng säkularen und nationalistischen Kurs nicht viel entgegenzusetzen. Im Frühjahr 2008 blockierte er erfolgreich mit einer Verfassungsbeschwerde den Versuch der Regierung, das Kopftuchverbot an den Universitäten aufzuweichen. Als die Regierung der kurdischen Bevölkerung mehr Rechte und Freiheiten einräumen wollte, denunzierte er diese im Nov. 2009, sie würde mit Terroristen paktieren.

Letztlich ging auch die Sozialistische Internationale, die seit Jan. 2006 vom griechischen PASOK-Chef Georgios Papandreou geführt wurde, auf Distanz zur CHP, die keine "sozialdemokratische Agenda" mehr vorzuweisen hätte (vgl. FAZ, 2.5.2007). Dem XXIII. SI-Kongress, der vom 30. Juni bis 2. Juli 2008 in Athen stattfand, blieb B. fern, da inzwischen die Degradierung seiner Partei in den Beobachterstatus oder gar der Ausschluss drohte. Die CHP, die in Athen mit keinem Delegierten vertreten war, blieb am Ende Vollmitglied, aber B. verlor seinen Vizepräsidentenposten.

Im Mai 2010 wurde die Türkei durch ein im Internet aufgetauchtes geheim aufgenommenes Video erschüttert, das den verheirateten CHP-Chef B. in eindeutig kompromittierender Situation mit seiner mutmaßlichen Geliebten, seiner ehemaligen Bürochefin und aktuellen CHP-Abgeordneten Nesrin Baytok, zeigte. Der 71-jährige trat daraufhin am 10. Mai mit sofortiger Wirkung von allen Ämtern zurück und legte auch sein Abgeordnetenmandat nieder. Während er die Regierung Erdoğan eines Komplotts bezichtigte, fragten Kommentatoren, ob die Indiskretion nicht eher aus der eigenen Partei kam. Dort tobte schon seit Jahren ein innerparteilicher Machtkampf, und für zwei Wochen später stand ein Parteitag mit der Neuwahl des Vorsitzenden an. Auch galt B. zuletzt als eher harmloser Oppositionsführer, der laut Beobachtern immer weniger Konstruktives in der politischen Debatte beizutragen hatte, und sich im Parlament auf eine Blockadepolitik verlegt hatte. Am 22. Mai wurde schließlich Kemal Kılıçdaroğlu mit 1.189 von 1.197 Delegiertenstimmen zum neuen Partechef gewählt.

Familie

B. ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Freizeit soll er am liebsten mit seiner Familie verbracht haben.

11. Februar 2023: Der türkische Politiker Deniz Baykal stirbt im Alter von 84 Jahren in Ankara.



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