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Volker Koepp

deutscher Dokumentarfilmer
Geburtstag: 22. Juni 1944 Stettin
Nation: Deutschland - Bundesrepublik

Internationales Biographisches Archiv 41/2023 vom 10. Oktober 2023 (mf)


Blick in die Presse

Herkunft

Volker Koepp wurde am 22. Juni 1944 in Stettin (heute Szczecin in Polen) geboren. Gegen Kriegsende 1945 floh seine Mutter mit ihm in ein Dorf in Brandenburg. Später zog die Familie zunächst nach Berlin-Karlshorst, dann nach Dresden. K. wuchs in der DDR mit vier Geschwistern in einer Akademikerfamilie auf.

Ausbildung

K. besuchte die Schulen in Berlin und Dresden und machte 1962 Abitur. Nach einer Maschinenschlosserlehre mit Facharbeiterabschluss studierte er 1963-1965 an der TU Dresden und 1966-1969 an der Deutschen Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg (heute: Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf). 1968 drohte K. die Exmatrikulation, weil er seinerzeit mit dem DDR-Regimegegner und Schriftsteller Thomas Brasch befreundet war. Als Strafe musste er einen Film über Arbeiter machen, der sich unter dem Titel "Wir haben schon eine ganze Stadt gebaut" mit einer Bauarbeiterbrigade befasste. Mit einer Diplomarbeit über "Strukturen im Spielfilm - 'Poetischer Film'" schloss er die akademische Ausbildung 1969 ab.

Wirken

Künstlerische EinordnungK. wurde schon in den 1970er Jahren in der DDR-volkseigenen Deutschen Film AG (DEFA) als Dokumentarfilmer auch international bekannt. "Einer der wenigen DEFA-Regisseure, die sich vor und nach 1989 mit einem bedeutenden Œuvre in die internationale Filmgeschichte eingeschrieben haben", schrieb defa-stiftung.de (abgerufen am 9.6.2023). In der Begründung für die Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse im Jahr 2014 wurde K. als "Chronist der ostdeutschen Zeitgeschichte" gewürdigt, der "nachdrückliche Zeitdokumente" geschaffen habe (zit. n. defa-stiftung.de, abgerufen am 12.5.2023). Sein 60 Dokumentarfilme umfassendes Werk (Stand 2023; meist auch Drehbuch) ist geprägt von knappen, zurückhaltenden Kommentaren, die K. stets selbst spricht. Sein Interesse gilt den Landschaften und Menschen im Osten Deutschlands und in den Ländern des ehemaligen Ostblocks, verbunden mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts und den Themen Krieg, Vertreibung und Migration. In seinem Alterswerk trat nach Meinung von epd-film.de (24.8.2018) "das Ökologische stärker in den Vordergrund".

Die Fachkritik würdigte die besondere Fragetechnik, Empathie und gleichzeitige Distanz, die K. in seinen Gesprächen einbrachte. "Koepp ist kein Auf- oder Abrechner und kein Schulmeister. Er braucht in seinen Arbeiten keinen Kommentar. Was er in Erfahrung bringt, lässt er vor der Kamera erzählen; offensichtlich verfügt er unbegrenzt über die Fähigkeit, den Befragten ein Gefühl von Vertrauen und Freiheit zu vermitteln", resümierte die Süddeutsche Zeitung (24.11.1994). Dabei sucht K. gerne auch Bekannte aus früheren Filmen wieder auf. Mit den Kameramännern Christian Lehmann und Thomas Plenert und der Dramaturgin Anne Richter verbindet ihn zudem eine langjährige Zusammenarbeit.

DEFA-Filme1970 erhielt K. eine feste Anstellung im DEFA-Studio für Dokumentarfilme und war dort bis 1991 tätig. Zunächst widmete sich K. Auftragsarbeiten fürs DDR-Fernsehen, die den realsozialistischen Alltag möglichst positiv schildern sollten, und Filmporträts über prominente Persönlichkeiten, die in der Tradition von Arbeiterbewegung und Antifaschismus standen, bspw. "Teddy" (1973) über die Jugend des KPD-Führers Ernst Thälmann. Seine Filme konnten die oft strenge Zensur der DDR passieren, da sie nicht ausdrücklich politisch waren, sondern Menschen in den Mittelpunkt stellten. Allerdings wurden sie im Vorprogramm von Kinovorführungen gezeigt, fast nie im Fernsehen, wo sie ein deutlich größeres Publikum gefunden hätten.

Bekannt wurde K. durch sein Langzeitprojekt der Wittstock-Filme, für das er ab 1974 junge Arbeiterinnen im Obertrikotagenbetrieb "Ernst Lück" im märkischen Städtchen Wittstock beobachtete und filmte. Nach zehn Jahren und zunächst vier kurzen Dokumentarfilmen schloss er diese Studie 1984 mit dem ersten abendfüllenden Dokumentarfilm "Leben in Wittstock" vorläufig ab. Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989, der den Zusammenbruch des SED-Staats symbolisierte, beobachtete K. zwei weitere Male das Leben seiner drei Proletarier-Protagonistinnen Edith, Renate und Stupsy mit der Kamera. Die 1992 und 1997 gedrehten Filme dieser Reihe zeigen die Frauen, die, unfreiwillig aus ihren vertrauten sozialen Bezügen gelöst, gleichwohl nicht in Pessimismus verfallen. Mit den Wittstock-Filmen gelangen K. nach Einschätzung der Filmkritik nachdrückliche Zeitdokumente, die vom Leben, den Wünschen und Träumen der einfachen Menschen berichten, und das in überaus poetisch-melancholischen Bildern. Alleine dieser Zyklus, so goethe.de (abgerufen am 12.5.2023) würde ausreichen, K. "einen Ehrenplatz in der Geschichte des deutschen Dokumentarfilms zu sichern".

1973 fand K. mit seinem Dokumentarfilm "Grüße aus Sarmatien für den Dichter Johannes Bobrowski", ohne Originalton und nur 14 Minuten lang, eine Sehnsuchtslandschaft, die ihn zeitlebens beschäftigte: der europäische Osten zwischen Ostsee und Schwarzem Meer (das Baltikum, Belarus, Ukraine und Moldau) mit seiner wechselvollen Geschichte, den der 1965 verstorbene Bobrowski mit dem antiken Namen "Sarmatien" benannt hatte. Mit seiner "Märkischen Trilogie" widmete er sich den Ziegeleiarbeitern und dem Niedergang der Kleinstadt Zehdenick. Die ersten Teile ("Märkische Ziegel", "Märkische Heide", "Märkischer Sand") realisierte er vor der deutsch-deutschen Wiedervereinigung, der abschließende Teil "Märkische Gesellschaft mbH" entstand 1991. Für diese Filme wurde K. mit vielen Festival-Preisen bedacht.

Wirken nach der Wende1991 wurde K. bei der DEFA entlassen, was er nach eigenem Bekunden als "Befreiung" empfand. Seitdem arbeitete er als freier Regisseur. K.s Filmstudie "Die Wismut" (1993) über den Uran-Bergbau im Erzgebirge, den größten Umweltskandal der DDR, wurde mit dem Preis der Deutschen Filmkritik ausgezeichnet. Mit dem 1994/1995 gedrehten dreistündigen Film "Kalte Heimat" widmete er sich erstmals Ostpreußen. "Die sinnliche und leise Dokumentation fragt nach dem Zusammenleben von Menschen unterschiedlichster Nationalitäten", so www-film-zeit.de. Immer wieder kehrte er filmend nach Ostpreußen zurück, so mit "Fremde Ufer" (1996), einem Porträt von vier russlanddeutschen Schwestern, und den Landschaftsporträts "Die Gilge" (1999) und "Kurische Nehrung" (2000).

1999 kam K.s hoch gelobte Dokumentation "Herr Zwilling und Frau Zuckermann" in die Kinos, ein anrührendes Porträt der letzten überlebenden Juden in Czernowitz (heute zur Ukraine gehörend), das mehrfach ausgezeichnet wurde und auch international ein Erfolg wurde. Fünf Jahre später führte er das Projekt mit der Dokumentation "Dieses Jahr in Czenowitz" weiter, in dem er mit Emigranten und deren Nachkommen aus Wien, Berlin und New York in diese untergegangene Welt des osteuropäischen Judentums zurückkehrte.

Filme nach der JahrtausendwendeAuch in "Uckermark" (2001), einem Dokumentarfilm über den dünn besiedelten Landstrich nordöstlich von Berlin, lässt K. die Betroffenen, zumeist Verlierer der Wiedervereinigung, zu Wort kommen. "Die Melancholie des Themas wird durch die einfühlsame Bildgestaltung und langsame Kamerafahrten über die sanfte Hügellandschaft noch verstärkt", stellte der film-dienst (25/2002) fest. In diese Gegend kehrte er auch für "Landstück" (2016) zurück und reflektierte die Veränderungen der letzten 20 Jahre. Einer unerhörten Familiengeschichte, die 1945 auf einem Gut in Westpreußen ihren Anfang nahm, war K. in seinem vielbeachteten Kinofilm "Söhne" (2007) auf der Spur. Die fünf, inzwischen alt gewordenen Brüder, zwei Kriegskinder aus dem Westen, zwei aus Polen und ein durch eine kuriose Verwechslung zur Familie gekommenes "Findelkind", erzählen hier ihre bewegt-bewegende Geschichte. Den Film, der beim Dokumentarfilmfestival in Nyon 2007 den Hauptpreis erhielt, bezeichnete die Süddeutsche Zeitung (18.6.2007) als neuen Höhepunkt in K.s Werk. Nur wenig später präsentierte er mit "Holunderblüte" (2007) einen mit dem Preis der deutschen Filmkritik und zahlreichen weiteren Preisen ausgezeichneten Dokumentarfilm über das Leben im früheren Ostpreußen, in dem er sich ganz auf die Perspektive der Kinder stützt, die von ihren Sorgen, Nöten und Hoffnungen erzählen.

Neuere Filme ab 2013Zu einem weiteren Höhepunkt in K.s Werken zählte die Fachkritik den Kinofilm "In Sarmatien" (2013). "Dies ist Koepps schönster Film, in dem alle früheren aufzugehen scheinen, in einer Mischung aus Fremdheit und Vertrautheit" schrieb z. B. die Süddeutsche Zeitung (23.3.2014) über diese weitere Erkundung der von Krieg, Vertreibung und nationalen Zerrüttungen geprägten Region.

In "Seestück" (2018) bereiste K. mit seinem Kameramann Uwe Mann acht Anrainerstaaten der Ostsee und befragte zahlreiche Personen mit einem besonderen Fokus auf Menschen, Alltag und Ökologie, darunter Fischer und Landschaftsökologen, Meeresforscher, Lehrkräfte, Stadtverordnete, Mütter und eine Architektin. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (24.6.2019) urteilte, K. setze "Landschaft und Wirtschaft zueinander in Bezug" und zeige sich darin "aufs Neue als reflektierender Romantiker, der über die Bedingungen der Möglichkeit des Idylls nachdenkt". Anlässlich seines 75. Geburtstages 2018 zeigte das Filmmuseum Potsdam diesen Film und gratulierte K. gemeinsam mit dem Deutschen Kulturforum östliches Europa und der Filmuniversität Babelsberg. Um die Lebensstationen und Schriften des Autors Uwe Johnson (1934-1984) zwischen Mecklenburg, Leipzig und England drehte sich dann K.s 2023 im Kino gezeigter dreistündiger Dokumentarfilm "Gehen und Bleiben", den der film-dienst als "eine spannende, mitunter aber auch etwas ausufernde Reise durch Landschaften und die Historie" bewertete. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (18.7.2023) sah in dem Werk "nicht nur ein Porträt des Menschen Uwe Johnson, sondern auch seiner Anliegen: die Erinnerung, wie die Deutschen den Nationalsozialismus mitgetragen hatten und das eigene Leben von sich aus wie durch den ideologischen Druck der Besatzungsmächte nachträglich folgsam umlogen; das Zusammendenken unterschiedlichster historischer Vorgänge auf der Welt über deren bloße Gleichzeitigkeit hinaus; das Verhältnis von menschlicher Schuld und landschaftlicher Schönheit, die oft die Opfer großer Verbrechen verdeckt; und die Landschaften selbst, die man in sich trägt, wenn man aus ihnen weggeht".

Familie

K. ist verheiratet und hat eine Tochter und einen Sohn. Er wohnt in Berlin-Pankow und im Sommer in einem Ferienhaus in der Uckermark.

Werke

Filme u. a.: "Grüße aus Sarmatien für den Dichter Johannes Bobrowski" (73), "Mädchen in Wittstock" (75), "Das weite Feld" (76), "Wieder in Wittstock" (76), "Wittstock III" (78), "Afghanistan" (85), "Leben in Wittstock" (85), "Feuerland" (87), "Märkische Ziegel" (89), "Märkische Heide, Märkischer Sand" (90), "Märkische Gesellschaft mbH" (91), "Neues in Wittstock" (92), "Die Wismut" (94), "Kalte Heimat" (95), "Fremde Ufer" (96), "Wittstock, Wittstock" (97), "Herr Zwilling und Frau Zuckermann" (99), "Kurische Nehrung/Ostpreußen" (01), "Uckermark" (02), "Dieses Jahr in Czernowitz" (04), "Pommerland" (05), "Schattenland" (05; auch Prod.), "Söhne" (07), "Holunderblüte" (07; auch Prod.), "Memelland" (08), "Berlin - Stettin" (09), "Livland" (12; TV), "In Sarmatien" (13; auch Prod.). "Landstück" (16; auch Prod.), "Seestück" (18), "Gehen und Bleiben" (23). Außerdem mehrere DVD-Kollektionen.

Literatur

Literatur: Grit Lemke-"Unter hohen Himmeln. Das Universum Volker Koepp" (19).

Auszeichnungen

Auszeichnungen u. a.: Johannes-R.-Becher-Medaille in Bronze (73), Silberner Drache, Krakow Film Festival (76), Silberne Taube, Leipzig DOK Festival (77), Hauptpreis in Oberhausen (78), Tampere-Preis (83), Silberne Taube, Leipzig (84), Sonderpreis der Filmkritik der DDR (85), Preis der Deutschen Filmkritik (93; 08), Bundesfilmpreis (94; für die "Wittstock"-Trilogie), Preis zur Förderung der deutschen Filmkunst der DEFA-Stiftung (03), Hauptpreis beim Dokumentarfilmfestival in Nyon (07), Cinéma du Réel Award (08), Deutscher Dokumentarfilmpreis, Preis der Stadt Ludwigsburg (09), Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (14), Ehrenmedaille der Stadt Wittstock (23).

Mitgliedschaften

Mitgliedschaften/Ämter: Gastprofessur an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg (93), Akademie der Künste Berlin-Brandenburg (seit 96), Haus des Dokumentarfilms in Stuttgart (seit 92), Filmkunsthaus Babylon e. V. in Berlin (Vorsitzender seit 92).

Adresse

c/o Volker Koepp Vineta Film, Elisabethweg 6a, 13187 Berlin, Tel.: 030 8029859



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