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Roberto Maroni

Roberto Maroni

italienischer Politiker; fr. Minister; Lega Nord
Geburtstag: 15. März 1955 Varese
Todestag: 22. November 2022 Lozza
Nation: Italien

Internationales Biographisches Archiv 25/2023 vom 20. Juni 2023 (cs)


Blick in die Presse

Herkunft

Roberto Ernesto Maroni stammte aus dem norditalienischen Varese, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz bei der Schweizer Grenze.

Ausbildung

M. besuchte das humanistische Gymnasium in Varese und schloss das Jurastudium 1979 in Mailand ab. 1981 erhielt er die Anwaltszulassung.

Wirken

Nach dem Examen war M. erst als Syndikus bei Banken tätig, darunter auch beim Banco Ambrosiano. 1983 bis zum Eintritt in die Berufspolitik 1992 leitete er die Rechtsabteilung der italienischen Tochter des US-Kosmetikkonzerns Avon.

Einstieg in die PolitikAls Student wirkte M. kurz in der trotzkistischen Democrazia Proletaria. 1979 schloss er sich Umberto Bossi an, der begann, eine erst belächelte, dann mit wachsendem Erfolg mal föderalistische, mal sezessionistische Politik für Italiens Norden zu vertreten. Bossi gründete 1983 die Lega Lombarda und vereinte diese 1989 mit weiteren Regionalparteien in der Lega Nord. Als Protestpartei profitierte diese ab 1992 vom Zerfall der Mitte-Parteien im Zuge diverser Skandale. M. galt als Vertreter der Arbeitnehmer-Interessen in der ansonsten weitgehend ordoliberalen Partei. Ab 1990 baute er im Ehrenamt als Provinzsekretär eine Parteiorganisation in Varese auf. Ende 1992 rückte er bei Kommunalwahlen in den Gemeinderat von Varese ein.

Abgeordneter, Innenminister, ParteipolitikIn die Abgeordnetenkammer (Camera dei Deputati) zog M. nach den Wahlen vom April 1992 ein, bei denen die Lega mit 8,7 % in der Kammer 55 von 639 Sitzen gewann, und wurde Fraktionschef. M.s Mandat wurde in der Folge jeweils bestätigt. Bei den Wahlen im März 1994 gewann die Lega im Verbund mit der neu gebildeten Forza Italia (FI) des Unternehmers Silvio Berlusconi und der aus den Postfaschisten hervorgehenden Alleanza Nazionale (AN) Gianfranco Finis eine knappe Mehrheit in der Kammer und dem Senat, dem zweiten Haus des Parlaments. M. blieb zunächst Fraktionschef der nun 117 Abgeordneten. In der im Mai gebildeten Regierung Berlusconi erhielt er als Vize-Ministerpräsident und Innenminister eine herausgehobene Position. M. agierte geschickt, als er einmal mit Rücktritt drohte und so von Berlusconi lancierte Straferleichterungen bei Korruptionsdelikten verhinderte. Im Jan. 1995 ließ Bossi die Koalition - gegen M.s Rat - nach verlustreichen Kommunalwahlen platzen. Nach den vorgezogenen Wahlen vom April 1996 (Lega 10,1 % bei der Kammerwahl) widmete sich M. in der Opposition der Ausschussarbeit.

M. trug Bossis 1995 forcierten Separatismus zwar mit, aber zurückhaltend. Dessen 1996 mit symbolischen Ritualen vollzogene, aber irrelevante Proklamation einer Republik Padania brachte die Lega zunächst ins Abseits. Im Mai 1996 wurde M. bei einer Polizeiaktion gegen die Parteizentrale leicht verletzt. Aufgrund der damaligen Gewalt wurden er und Bossi 1998 wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt zu Bewährungsstrafen verurteilt. Die Konsequenz-Bereitschaft für ihr Handeln trug ihnen aber auch Respekt ein (vgl. FAZ, 5.4.2009). Es war dann M., der die Kontakte zu Berlusconi erneuerte, und im Jahr 2000 wurde die Allianz unter Einbezug von Zentristen (UDC) als Casa delle libertà (CdL) revitalisiert. Bei den Wahlen im Mai 2001 sicherte sich die CdL die absolute Mehrheit. Die FI war als dominierende Partei anders als 1994 kaum noch von der Lega abhängig. Diese sank auf 3,9 % der Stimmen, zog aber über Direktmandate in beide Häuser ein.

Arbeits- und SozialministerIn Berlusconis im Juni 2001 gebildeter Regierung erhielt M. das Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt, das drei Vorgänger-Ressorts vereinte und auch für Drogenbekämpfung und Immigrationsfragen zuständig wurde. Die Lega stellte auch die Minister für Justiz und Dezentralisierung (bis 2004 Bossi). M. ging an arbeitsrechtliche Reformen, sah sich aber 2002 und 2003 den größten Massenprotesten seit Jahrzehnten gegenüber. 2002 wurde zudem M.s Berater, der Arbeitsrechtler Marco Biagi, von Extremisten ermordet. Immerhin gewann M. Spielraum, indem er den gemäßigten Gewerkschafts-Verbänden CISL und UIL entgegenkam und so die radikalere CGIL isolierte. Dennoch scheiterte eine für Auslandsinvestitionen wichtige Lockerung des Kündigungsschutzes. Immerhin flexibilisierte die Koalition den starren Arbeitsmarkt ansatzweise (mehr Öffnungen bei Arbeitsverträgen) und erreichte eine Förderung des Niedriglohnsektors sowie eine teilweise Legalisierung von Schwarzarbeit (rund 25 % des BIP). Damit trugen M.s Schritte dazu bei, dass die Arbeitslosenrate 1998-2005 von 12 % auf 8 % sank. Kritiker verwiesen allerdings auf die oft verheerenden Arbeitsbedingungen und die niedrige Arbeitslosenförderung von rund 30 % des letzten Lohnes. Auch das Nord-Süd-Gefälle blieb mit Facharbeitermangel im Norden und Arbeitslosenraten von teils 25 % im Süden bestehen. Ein Großteil der öffentlichen Sozialausgaben - 38,5 % des Etats 2002 - flossen in die Altersversorgung. Um das traditionelle Defizit der Rentenkasse zu mildern, setzte die Regierung 2004 eine Rentenreform und eine Anhebung des Renteneintrittsalters bis 2008 auf mindestens 60 Jahre durch. M.s Nachfolger wollten die Reform erst kippen, einigten sich dann aber auf eine verwässerte Variante. Ergebnislos warb M. für eine Zusatzrente als zweite Säule der Altersversorgung.

Lage der Lega, Oppositions-IntermezzoInnerparteilich rückte M. 2004 ins Zentrum, da Bossi krankheitsbedingt für längere Zeit ausfiel. Auch wenn sich die Lega 2001-2006 als zuverlässiger Koalitionspartner erwies, inszenierte M. 2005 gleichwohl fast im Stile Bossis eine konsultative Volksabstimmung über eine zeitweise Wiedereinführung der Lira. Bei den Wahlen vom April 2006 gewann das Mitte-links-Bündnis knapp, wobei die Lega auf 4,6 % (Kammer) und 4,5 % (Senat) kam. M. wurde Fraktionschef in der Kammer. M.s bisheriges Ministerium wurde im Mai zweigeteilt. Für die nach dem Scheitern der Koalition ausgerufenen Neuwahlen im April 2008 bildeten FI und AN das Bündnis Popolo della libertà (PdL). Der wieder genesene Bossi ließ die Lega hingegen separat antreten. Die PdL kam in der Kammerwahl auf 37,4 % der Stimmen und 272 Sitze, die Lega erhielt in der Kammer 60 und im Senat 25 Mandate (bei 8,3 und 8,1 % der Stimmen). Dabei holte die Lega in Venetien 27 % sowie der Lombardei 22 % und profitierte von der Verankerung in der Kommunalpolitik, Stimmen aus dem Arbeitermilieu, aber auch von fremdenfeindlichen Parolen.

Erneut Innenminister (2008-2011)Berlusconi betraute M. im Mai 2008 mit dem Ministerium des Innern mit Sitz im Palazzo Viminale; an die Lega gingen dazu die Ressorts Verkehr und Normen-Vereinfachung sowie Föderalismus-Reform (Bossi). 2009 setzte die Koalition das von der Lega forcierte Gesetz zur Einführung des Finanzföderalismus durch. In dieser Koalition erwies sich die Lega als Stabilisator, zumal sich Fini 2010 mit einer Gruppe abspaltete.

Für den uneitel bodenständigen M. (vgl. FAZ, 5.4.2009) gab es im Inland wenig Kritik, obschon ihm sein Kurs im Ausland den Ruf eines Hardliners einbrachte (vgl. taz, 26.1.2009). M. erhielt umfassende Sicherheits- und Verwaltungs-Kompetenzen, er stand aber auch vor der Sisyphus-Arbeit, die untereinander eifersüchtigen Dienste zu koordinieren. Immerhin trug die bessere Abstimmung zu Schlägen gegen die Mafia-Organisationen bei. Neben Verhaftungen gelang dies auch durch die Konfiszierung von Mafia-Vermögen, allein 2008-2010 von rund 2 Mrd. Euro, wobei die kalabresische 'Ndrangheta pro Jahr durch Kokain-Geschäfte 45 Mrd. Euro einnehmen soll. Unerbittlich zeigte sich M. auch bei der Räumung von Roma-Lagern.

M. sah sich einem Anstieg der illegalen Einwanderung aus Nordafrika gegenüber - trotz von M. forcierter gemeinsamer Küsten-Patrouillen mit Libyen und Tunesien. Die meist aus Seenot geretteten Migranten wurden dann aufs ganze Land verteilt, lebten alsbald in Slums und wurden oft über illegale Beschäftigung von der Mafia abhängig. Mit Blick auf die Auseinandersetzungen vor Ort mit Nachbarn sowie Gewalt und Ausländerfeindlichkeit gab M. das Ziel vor, die Zahl der geduldeten Flüchtlinge möglichst klein zu halten, und inszenierte 2008 einen letztlich wirkungslosen Flüchtlings-Notstand. Zu wütenden Protesten auf Lampedusa (bei Einwohnern wie Migranten) führte M.s Weisung vom Jan. 2009, auf der Insel alle Boots-Flüchtlinge so lange zentral zu internieren, bis über deren jeweiligen Fall individuell entschieden war. M. prägte auch das im Sept. 2009 verabschiedete Gesetz, das illegale Einwanderung strafbar machte und die Abschiebung erleichtern sollte. Auf Kritik konterte M., die gegenüber den "clandestini" Gutherzigen hätten zuvor nichts zustande gebracht (vgl. RM, 10.9.2009).

Die Lage eskalierte 2011 mit den Unruhen im Nahen Osten ("Arabischer Frühling"), insbesondere infolge des Bürgerkriegs in Libyen. Waren 2008 rund 36.500 Menschen nach Italien geflohen, waren es allein von Jan. bis Okt. 2011 rund 60.000. M. forderte daher von seinen EU-Kollegen vergeblich und trotz polternder Drohungen mehr Unterstützung. Er schloss auch mit einem neuen Regime in Tunis ein Rückführungsabkommen. Dennoch eskalierte die Lage auf Lampedusa, wo im September bei einem Brand Flüchtlings-Revolten ausbrachen. M. setzte danch die Auflösung und Verlegung des Lagers nach Sizilien durch.

Wieder Opposition und Übergangs-ParteichefIm Nov. 2011 gab M. das Innenministerium an die ehemalige Präfektin Annamaria Cancellieri ab. Diese war Teil der Expertenregierung unter Mario Monti. Berlusconis Regierung war zuvor auseinandergebrochen, teils aus Uneinigkeit wegen der Schuldenkrise infolge der Rezession, teils wegen privater Skandale Berlusconis.

In der Folge stellte sich M. innerparteilich mehrfach gegen Getreue Bossis. Im Frühjahr 2012 kam es zu Korruptionsvorwürfen und Ermittlungen gegen Bossis Sohn. Nun forderte M. öffentlich Klarheit über die Konten der Partei. Als Bossi im April zurücktrat, ging die Parteiführung zunächst an ein Dreiergremium um M. Nach Stimmverlusten bei Lokalwahlen im Mai wurde M. im Juli auf einem Parteitag mit nur einer Gegenstimme zum neuen Parteivorsitzenden gewählt. Für die Parlamentswahlen im Febr. 2013 vereinbarte M. wieder eine Allianz mit Parteien um Berlusconi. Allerdings erreichte die Lega nur 18 Sitze in der Kammer (4,1 %) sowie 18 im Senat (4,3 %) und ging in die Opposition; dagegen schloss sich Berlusconis FI einer breiten Koalitionsregierung an. Im Juni folgten weitere Schlappen für die Lega bei Bürgermeisterwahlen im gesamten Land. Auf einem neuerlichen Parteitag im Dez. 2013 trat M. nicht mehr an. Dabei setzte sich nun der 40-jährige Matteo Salvini gegen Bossi durch und erreichte in der Folge mit einem stramm rechtspopulistischen Kurs mehrere Jahre große Erfolge.

Regionalpräsident in der LombardeiM. hatte im Febr. 2013 auf eine weitere Kandidatur für die Kammer verzichtet und war stattdessen erfolgreich bei den Wahlen zum Regionalpräsidenten der Lombardei mit Sitz in Mailand angetreten. Dabei erhielt er - gleichzeitig mit dem nationalen Urnengang - in direkter Wahl 42,8 % (2,5 Mio. Wählerstimmen) und folgte auf den FI-Politiker Robert Formigoni, der wegen Skandalen nicht mehr antrat. Im Regionalparlament erhielt M.s Mitte-rechts-Bündnis 49 von 80 Sitzen. In dem nach wie vor stark zentralistischen Italien verfügen die Regionen zwar über einige eigene Steuereinnahmen, letztlich aber nur über begrenzte Kompetenzen. Die Lombardei mit rund 10 Mio. Einwohnern zählte auch seither zu den reichsten und größten Regionen. In einem nicht bindenden Referendum votierten im Okt. 2017 fast 95 % der Abstimmenden für mehr Autonomie, wofür M. seit 2013 geworben hatte. 2018 trat M. nicht mehr an und gab das Amt im März an seinen Parteifreund Attilio Fontana ab. Er selbst eröffnete eine Anwaltskanzlei in Varese. Zuletzt plante er eine Kandidatur für das Bürgermeisteramt, zog sich 2021 aber krankheitsbedingt zurück.

Familie

M. und seine Frau Emilia bekamen drei Kinder. Der Fußball-Fan (AC Milan) spielte gerne Saxophon und Keyboards in der regionalen Rhythm'n' Blues-Band "Distretto 51". Nach Ausbruch einer Tumorerkrankung 2021 verstarb M. am 22. Nov. 2022 67-jährig in Lozza bei Varesa.



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