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MUNZINGER Personen

Geno Hartlaub

deutsche Schriftstellerin und Journalistin
Geburtstag: 7. Juni 1915 Mannheim
Todestag: 25. März 2007 Hamburg
Nation: Deutschland - Bundesrepublik

Internationales Biographisches Archiv 32/2007 vom 11. August 2007 (mf)


Blick in die Presse

Herkunft

Geno(veva) Hartlaub (Pseudonym: Muriel Castorp) wurde als Tochter des Kunsthistorikers Gustav F. Hartlaub in Mannheim geboren. Ihr Vater war Direktor der Mannheimer Kunsthalle und galt vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten als aktiver Förderer moderner Kunst. 1933 verlor er als "Kulturbolschewist" seinen Posten. Zu ihren Vorfahren zählen der Ornithologe, Arzt und Weltreisende Gustav Hartlaub (Urgroßvater), der Meeresbiologe Clemens Hartlaub, die Übersetzer Ludwig Nolde und Otto Gildemeister und der Psychiater Ludwig Binswanger. Ihr zwei Jahre älterer Bruder Felix, 1945 bei den Kämpfen um Berlin verschollen, galt als Wunderkind und großes Prosatalent. H. gab 1955 seinen größtenteils unveröffentlichten Nachlass unter dem Titel "Im Sperrkreis" heraus. Über diese Erinnerungsarbeit, die ihre eigene literarische Karriere um Jahre verzögerte, schrieb sie 1984 in ihrer Autobiografie "Sprung über den Schatten".

Ausbildung

1934 legte H. an der Odenwaldschule das Abitur ab. Da ihr aus politischen Gründen die Studienerlaubnis verweigert wurde, absolvierte sie eine kaufmännische Lehre. Ein Jahr lang hielt sie sich zu Studienzwecken in Italien auf. 1939 wurde sie zur Wehrmacht dienstverpflichtet und während des Krieges als Stabshelferin eingesetzt. 1945 geriet sie in Norwegen in Kriegsgefangenschaft.

Wirken

H. gilt als "eine der fruchtbarsten deutschen Erzählerinnen" (SZ, 7.6.2005) der Nachkriegszeit, wenn ihr auch der große Durchbruch im literarischen Betrieb nie gelang. Ihr umfangreiches Werk umfasst Romane, Erzählungen, Krimis, Reiseberichte und Hörspiele. Ihre Prosa formulierte sie nach Ansicht der Stuttgarter Zeitung (28.3.2007) "in einem Stil, der Realismus und Poesie zu mischen verstand".

Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges war H. als Fremdsprachensekretärin tätig. Nach ihrer Rückkehr aus der Gefangenschaft wirkte sie von 1945-1948 als Lektorin der von Dolf Sternberger und Karl Jaspers herausgegebenen Zeitschrift "Die Wandlung" in Heidelberg, die von der Frankfurter Allgemeine Zeitung (7.6.1995) als "Forum für die geistige Neuorientierung Deutschlands nach 1945" charakterisiert wurde. Nach verschiedenen weiteren Verlagslektoraten war H. von 1962-1975 Redakteurin beim "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" in Hamburg, wo sie seit Anfang der 50er Jahre lebte. Die Fachpresse zählte sie zu den einflussreichsten Feuilletonisten der alten Bundesrepublik (vgl. Stgt. Z., 28.3.2007). Anschließend war sie wieder als freie Lektorin tätig. Reisen führten sie u. a. nach Nepal, Iran, Afghanistan, nach Nordafrika und in die Türkei.

Erste schriftstellerische Versuche unternahm H. bereits während des Krieges. 1942 erschien ihre Erzählung "Die Entführung. Eine Geschichte aus Neapel", 1944 der Roman "Noch im Traum". Die Novelle "Die Kindsräuberin" (1947) und der Roman "Die Tauben von San Marco" (1953) untermauerten ihren Ruf als Vertreterin der jungen, der "Gruppe 47" zugeordneten Schriftsteller-Generation. Grenzsituationen der Kriegs- und Nachkriegszeit, aber auch das Bemühen um neue Formen des Zusammenlebens der Geschlechter waren die bestimmenden Themen ihres Werkes. Dabei sprach die Schriftstellerin "mit radikaler Offenheit von erotischen Problemen und Familienneurosen", meinte die Süddeutsche Zeitung (28.3.2007) und urteilte weiter: "Kühn war nicht ihre Form, sondern der Inhalt."

Großen Anklang fanden besonders H. s "elegante Prosa" (SPIEGEL, 2.4.2007), v. a. der Roman "Gefangene der Nacht" (1961), die Erzählung "Der Mond hat Durst" (1963; Neuaufl. 1986) und der "vorzüglich gebaute" (SZ, 7.6.2005) Krimi "Lokaltermin Feenteich" (72; Roman). Lobende Rezensionen und viel Aufsehen erregte auch der Roman "Das Gör" (1980), den die Süddeutsche Zeitung (7.6.2005) als "rücksichtslos offenes Werk über das erst unfreie, dann ungeordnete Leben der Frauen im 20. Jahrhundert" charakterisierte. "Das Gör" wie auch der autobiografische Schlüsselroman "Muriel" (1985) brachten ihr spät die Anerkennung als "eigenwillige, ernstzunehmende Autorin" (WELT, 28.3.2007) ein.

Wegen einer starken Nerven- und Gelenkserkrankung fiel H. das Schreiben zusehends schwerer, weshalb sie in den letzten Jahren ihres Lebens immer weniger veröffentlichte. Ihr letzter Roman erschien 1995 unter dem Titel "Der Mann, der nicht nach Hause wollte", eine "versteckte Hommage an Karl Jaspers", meinte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (7.6.1995) und lobte den heiteren, ironischen Ton der Geschichte des Kriegsheimkehrers Anton Winter, der in der saturierten Nachkriegswelt scheitert. Die Schriftstellerin schildere damit "vielleicht das Leben, das ihrem Bruder hätte beschieden sein können" (SZ, 28.3.2007). Seit 1980 betrieb H. einen literarischen Salon, zu dem sich Schriftsteller, Literaten und Durchreisende in ihrer Wohnung trafen.

Familie

H., die in ihrer Freizeit gerne Aquarelle malte, war nicht verheiratet. Im Alter von 91 Jahren starb sie in einem Hamburger Krankenhaus.

Werke

Veröffentlichungen (Auswahl): "Die Entführung. Eine Geschichte aus Neapel" (42), "Noch im Traum. Geschichte des jungen Jakob Stellbrecht" (44), "Die Kindsräuberin" (47; Novelle), "Anselm, der Lehrling" (47; phantastischer Roman), "Der Lügner" (49; Novelle), "Die Tauben von San Marco" (53), "Der große Wagen" (54; Roman), "Im Sperrkreis. Felix Hartlaub: Das Gesamtwerk. Dichtungen, Tagebücher" (55; Neuauflage 84; Hrsg.), "Windstille vor Concador" (58; Roman), "Gefangene der Nacht" (61; Roman), "Mutter und ihre Kinder. Die Mutterdarstellung in der bildenden Kunst" (62), "Der Mond hat Durst" (63; Erzählung), "Die Schafe der Königin" (64; Roman), "Unterwegs nach Samarkand. Eine Reise durch die Sowjetunion" (65), "Unser ganzes Leben. Ein Hausbuch" (66; Hrsg. zus. m. Martin Gregor-Dellin), "Nicht jeder ist Odysseus" (67; Roman), "Rot heißt auch schön" (69; Erzählungen), "Leben mit dem Sex" (70; unter dem Pseudonym Muriel Castorp), "Lokaltermin Feenteich" (72; Roman), "Das Gör" (80; Roman), "Muriel" (85; Roman), "Sprung über den Schatten" (84; Autobiografie), "Die Uhr der Träume" (86; ausgewählte Erzählungen), "Der Mann, der nicht nach Hause wollte" (95; Roman). Hörspiele: "Die Stütze des Chefs" (53), "Das verhexte ABC", "Die Monduhr", "Melanie und die gute Fee". Außerdem ist H. als Übersetzerin hervorgetreten (Jean Genet, Ugo Betti).

Auszeichnungen

Auszeichnungen: Alexander-Zinn-Preis des Hamburger Senats (88), Irmgard-Heilmann-Preis (92), Biermann-Ratjen-Medaille (95).

Mitgliedschaften

Mitgliedschaften: Seit 1956 war H. Mitglied des P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik. 1978 wurde sie in den Beirat des Präsidiums gewählt. Seit 1960 war sie Mitglied der Freien Akademie der Künste, Hamburg, seit 1969 der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Geno Hartlaub



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