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Franz West

Franz West

österreichischer Künstler
Geburtstag: 16. Februar 1947 Wien
Todestag: 26. Juli 2012 Wien
Nation: Österreich

Internationales Biographisches Archiv 03/2012 vom 17. Januar 2012 (hy)
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 46/2023


Blick in die Presse

Herkunft

Franz West wurde am 16. Febr. 1947 in Wien als Sohn einer Zahnärztin und eines Kohlenhändlers geboren.

Ausbildung

W. studierte von 1977 bis 1982 in Wien an der Akademie der bildenden Künste und war dort Schüler von Bruno Gironcoli.

Wirken

Das vom Wiener Aktionismus geprägte Frühwerk In seinem künstlerischen Wirken wurde W. durch den Wiener Aktionismus geprägt. Von Bedeutung waren insbesondere die Material- und Körperaktionen Hermann Nitschs, Otto Mühls und Günther Brus'. Auch in W.s Kunstschaffen ist die Körperbezogenheit der Kunst und deren psychisches Erleben von großer Bedeutung. Schon während seiner Studentenzeit bei Gironcoli trat W. an seine Mitstudenten mit der Bitte heran, seine Objekte für ihn zu kolorieren. Für seine Collagen verarbeitete W. verschiedenste literarische Fundstücke und Ausschnitte aus Magazinen und Katalogen.

Das eigenständige Werk - Inkunabeln der zeitgenössischen Kunst Ein weiteres wichtiges Anliegen seiner Arbeit machte W. 1980 mit seiner Ausstellung in der Wiener Galerie nächst St. Stephan deutlich. Um der verbreiteten Auffassung entgegenzuwirken, dass Kunst nur für Betrachtung geeignet ist, zeigte er hier erstmals sog. "Passstücke", die mit der Zeit einen wesentlichen Teil seines Œuvres ausmachten und zu "Inkunabeln zeitgenössischer Skulptur" wurden (FAZ, 6.7.2003). Es handelt sich hierbei um Objekte unterschiedlichster Form, die er aus Pappmaché, Polyester und Gips, später auch Aluminium fertigte. Dies können Verlängerungen von Körperteilen sein oder auch pseudoanatomischen Hilfsinstrumenten ähneln. Der Betrachter soll sie benutzen, an den eigenen Körper anpassen, herumtragen.

Benutzbare Kunst In den späten 80er Jahren führte die Suche W.s nach der Erfahrbarkeit der Kunst zu der Schaffung multipler Sitzgelegenheiten, die aus Eisen zusammengeschweißt wurden. W. installierte z. B. in der Ausstellung "Wegener Räume 2/6 - 5/6" in der Galerie Peter Pakesch besondere Raumkonzeptionen, in denen Sitzgelegenheiten in der Kombination mit eigentlichen Skulpturen und Collagen an die Gestaltung bürgerlicher Wohnzimmer erinnerten. W. versuchte in dieser und den ihr verwandten Arbeiten darzustellen, wie herkömmliche Möbel und Objekte mit ihren Formen den grundsätzlichen Verhaltensweisen des Menschen entsprechen und bestimmte körperliche Bezugnahmen suggerieren. Auch 1990, als W. Österreich erstmals auf der Biennale in Venedig vertrat, zeigte er ein derartiges Arrangement von "Passstücken", Sitzgelegenheiten und Skulpturen. 1997 schuf er für die Biennale eine Installation mit dem Titel "Heim" - schrankähnliche Raumcontainer aus Spanplattenmaterial, die mit Gips überzogen worden waren und ebenfalls an konventionelle Wohnausstattungen erinnerten.

In einer Ausstellung des Museum of Contemporary Art in Los Angeles (1994) blieb W. seinem Anliegen treu, Kunst benutzbar zu machen. Unter dem Titel "Test" stellte er auf die Skulpturen-Plaza des Museums 28 Diwane, für die Gilbert Bretterbauer die Bezüge und Polster entworfen hatte. Mit ihnen wollte W. es dem Publikum ermöglichen, die Vielschichtigkeit des Ortes als Raum für Kommunikation und Begegnung und als Oase der Ruhe zu erfahren. Dieselbe Intention lag auch der Installation von Sesseln bei der Veranstaltung "100 Tage -100 Gäste" zu Grunde, die W. 1997 auf der documenta X in Kassel präsentierte.

Das skulpturale Werk und Happenings Neben den "Passstücken" und Sitzmöbeln hat W. aber auch immer wieder skulpturale Objekte in Zusammenarbeit mit Freunden und Kollegen geschaffen. Großplastische Arbeiten waren etwa die 1992 anlässlich der documenta IX in Kassel gezeigten Lemurenköpfe, die ursprünglich als Brückenköpfe geplant gewesen waren. Für Kassel entwickelte W. daraus eine ritualistische Installation für den Innen- und Außenbereich. Die Besucher der Ausstellung sollten die Arbeit an den Lemurenköpfen durch den Einsatz von Küchenabfällen und Speiseresten vollenden. 1997 stellte W. seine "Colabs" und "Combos" vor. Die "Colabs" entstanden ausschließlich in Kollaboration mit Künstlerkollegen, die "Combos" aus der Kombination eigener Werke von W. mit bereits vorhandenen Werken von anderen Kunstschaffenden.

Im Jahr 2003 belebte W. die Happening-Tradition neu. "Freche Fratzen in Richtung Kunstbetrieb" (FAS, 6.7.2003) schneidend, inszenierte er anlässlich einer Retrospektive im Kunsthaus Bregenz auf dessen Vorplatz ein interaktives Spektakel. Er ließ ein neues rotes Ducati-Motorrad mit laufendem Motor von einem Hubwagen in eine Wanne mit Fangoschlamm transportieren, bis es tuckernd ausging. Begleitet von Trompetenmusik und einer Stimme wurde die verschlammte Maschine schließlich auf ihren vorgesehenen Platz im Museum verbracht. Währenddessen bewarfen Assistenten von W. das Publikum mit Eierlöffeln voll Fangoschlamm, worauf die Anwesenden pflichtgemäß mit Beschimpfungen reagierten. Die Ducati wurde von dem Industriellen und Kunstmäzen Mick Flick bereitgestellt, der laut Vertrag das durch den mineralisierten Schlamm "aufgewertete" Gefährt nach Ende der Ausstellung zurückkaufen musste.

Wie sehr seine Inszenierungen sich immer mehr ins Theaterhafte veränderten, zeigte eine Ausstellung im Jahr 2010 im Kunsthaus in Graz. Sie bezog die Betrachter wie Schauspieler mit ein. Sie konnten selbst zu Performern werden, indem sie sich hinter einen Paravent begaben, sich auszogen und dann fünf Minuten lang einfach das machten was ihnen gerade in den Sinn kam. Das Unfertige, noch im Entstehen begriffene wurde zudem durch einige im Raum stehende Kisten verstärkt, in denen sich noch unausgepackte Werke des Künstlers befanden.

Internationale Anerkennung - der geehrte Künstler Längst wird W. in der internationalen Kunstwelt zu den ganz Großen der zeitgenössischen Kunst gerechnet, vor allem in den USA, was u. a. eine Einzelausstellung 1997 im New Yorker Museum of Modern Art belegte. Die erste umfangreiche Museumsausstellung W.s in Österreich war die Einzelausstellung "Proforma" im Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig in Wien 1996, im Jahr 2001/2002 widmete ihm das Museum für angewandte Kunst in Wien eine große Retrospektive. Aus neuerer Zeit erwähnenswert ist u. a. die Ausstellung "Sisyphos: Litter & Waste" in der Gagosian Gallery in New York 2003 und 2009/2010 eine große Retrospektive mit dem Titel "Autotheater" im Kölner Museum Ludwig.

Im Jahr 2011 wurde W. eine der herausragendsten Ehrungen der Kunstwelt zuteil: Anlässlich der Kunstbiennale von Venedig bekam er - als erster Österreicher - im Juni des Jahres den "Goldenen Löwen für sein Lebenswerk" überreicht. DIE ZEIT (30.2.2009) bescheinigte W., er beherrsche "die Kunst des komischen Ernsts" wie kaum ein anderer Künstler.

21. November 2023: Der Oberste Gerichtshof in Österreich bestimmt den Rechtsnachfolger der verstorbenen Schwester von Franz West zum Erben des Künstlers. Mit dem Urteil geht der gesamte künstlerische Nachlass an die Franz West Privatstiftung, wie es West in seinem Testament geregelt hatte. Ob den Kindern von West ein Pflichtteil zusteht, wird derzeit noch vor Gericht verhandelt.

Familie

W. lebte und arbeitete in Wien. Er war mit der 30 Jahre jüngeren georgischen Künstlerkollegin Tamuna Sirbiladze verheiratet, mit der er auch zwei Kinder hatte. Nur wenige Tage vor seinem Tod hatte W. seinen künstlerischen Nachlass neu geregelt und einer neu errichteten "Franz West Privatstiftung" vermacht. Die gesamte Konstruktion der Erb-, Nachlass- und Begünstigungsregelung führte allerdings schon bald zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen der neuen Privatstiftung und dem von W. schon früher von W. als gemeinnütziger Verein gegründeten "Archiv Franz West", in die zeitweise auch Witwe und die beiden Kinder involviert waren.

26. Juli 2012: Der österreichische Künstler Franz West stirbt im Alter von 65 Jahren in einem Wiener Krankenhaus an einer infektiösen Hepatitis.

Werke

Einzelausstellungen (Auswahl): Galerie Hamburger, Wien (70), Galerie nächst St. Stephan, Wien (80), Kunsthandlung Hummel, Wien, (83), Galerie Max Hetzler, Köln (86), Galerie Peter Pakesch, Wien (88), Museum of Contemporary Art, Los Angeles (94 u. 98), Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien (96), Kunstverein Hamburg (96), MOMA New York (97), Museum für Neue Kunst, Karlsruhe (01), Kunstverein, Braunschweig (01), Museum für angewandte Kunst, Wien (01/02), Deichtorhallen, Hamburg (02), Kunsthaus, Bregenz (03), Whitechapel Art Gallery, London (03), Gagosian Gallery, New York (03). Gruppenausstellungen (Auswahl): Biennale, Venedig (90 u. 97), documenta IX, Kassel (92), documenta X, Kassel (97), MOMA, New York (97), Deichtorhallen, Hamburg (02), Whitechapel Art Gallery, London (03), Museum für angewandte Kunst, Wien (08), Foundation Beyeler, Basel (09), Museum Ludwig, Köln (10; Retrospektive), Kunsthaus Graz (10/11).

12. September 2018 - 10. Dezember 2018: Das Centre Pompidou in Paris zeigt eine Retrospektive des 2012 verstorbenen Künstlers Franz West.

Literatur

Literatur: "Proforma", Ausstellungskatalog (96); "Sisyphos: Litter & Waste", Ausstellungskatalog, (03), "Extroversion. Ein Gespräch/A Talk" (11; zus. mit Benedikt Ledebur), "Autotheater", Ausstellungskatalog (10), "Franz West schrieb" (11; hrsg. von Hans Ulrich Obrist u. Ines Turian).

Auszeichnungen

Auszeichnungen u. a.: Otto-Mauer-Preis, Wien (86), Skulpturenpreis der EA-Generali Foundation, Wien (93), Wolfgang-Hahn-Preis (98; vergeben von der Gesellschaft für Moderne Kunst am Kölner Museum Ludwig, Österreichisches Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst (11), Goldener Löwe der 54. Biennale von Venedig für sein Lebenswerk (11).

Mitgliedschaften

Mitgliedschaften/Ämter u. a.: W. war von 1992 bis 1993 Gastprofessor an der Städelschule in Frankfurt.

Adresse

Letzte Adresse: Esteplatz 3/2, 1030 Wien, Österreich, Internet: www.franzwest.at



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