Claude Lanzmann
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Internationales Biographisches Archiv
Claude Lanzmann wurde 1925 in Bois-Colombes, einer kleinen Stadt nordwestlich von Paris, als Sohn eines Dekorateurs geboren. Er wuchs dort in einer assimilierten Familie auf, die Großeltern waren jüdische Immigranten aus Osteuropa. L.s Mutter Paulette Grobermann verließ die Familie in den 1930er Jahren für eine neue Beziehung mit dem Dichter Monny de Boully. L.s Bruder Jacques (1927-2006) war Schriftsteller und Songtexter. Seine Schwester, die Schauspielerin Evelyne Rey (1930-1966), nahm sich das Leben.
Als Schüler des Lycée Blaise Pascal in Clermont-Ferrand schloss sich L. während des Zweiten Weltkrieges 1943 der französischen Résistance gegen die nationalsozialistische deutsche Besatzungsmacht an und beteiligte sich an Partisanenkämpfen. Nach dem Krieg setzte er sein in Paris begonnenes Philosophiestudium zusammen mit dem Schulfreund und späteren Schriftsteller
Dozent und Journalist1948/1949 war L. als Lektor an der neu gegründeten Freien Universität (FU) im Westen Berlins tätig. Großen Ärger bei der Universitätsleitung und der französischen Militärregierung in der Vier-Sektoren-Stadt handelte er sich mit einem Antisemitismus-Seminar ein, das er auf Wunsch der Studenten abhielt, sowie mit einem Artikel über Missstände an der FU, der Anfang 1950 in der "Berliner Zeitung" im sowjetisch kontrollierten Ostsektor Berlins erschien. Die Pariser Tageszeitung "Le Monde" druckte etwas später eine Artikelserie von L. über das geteilte Deutschland und die sozialistische DDR. Gut 20 Jahre lang war er als Journalist tätig, schrieb für die Zeitung "France-Soir" ebenso wie für große Magazine ("Paris Match", "Elle") und lieferte neben Reportagen aus Krisengebieten (u. a. Nordkorea) auch Prominentenporträts, Essays und Kolumnen.
Mit Beginn der 1950er Jahre lebte L. wieder in Paris und zählte dort zum engen Freundeskreis um den existenzialistischen Philosophen
Filmemacher Nach seiner Mitarbeit am Drehbuch des Filmdramas "Élise ou la vraie vie" (1970) wandte sich L. dem Dokumentarfilm zu. Zum Themenkomplex Israel, Judentum und Holocaust drehte er eine hoch gelobte Filmtrilogie, die 1973 mit seinem Regiedebüt "Pourquoi Israel" (dt. "Warum Israel") begann, worin er sich mit dem Selbstverständnis des Staates Israel befasste. Weltweite Berühmtheit bescherte ihm der zweite Teil
Auf dem Filmfestival in Venedig stellte L. 1994 mit "Tsahal" den dritten Teil seiner jüdischen Trilogie vor, der von der Geschichte der israelischen Armee und ihrer Verankerung in der Gesellschaft handelt. Dieser Film war nicht nur in Frankreich, sondern auch in Israel umstritten und wurde von manchen als unkritische Hymne auf das Militär empfunden. Nach Meinung der Süddeutschen Zeitung (9.9.1994) ging es darin jedoch eher um die Widersprüche, "die sich immer wieder mitten durch die Personen ziehen, wenn aus Opfern physischer Gewalt Anwender eben dieser Gewalt werden - notgedrungen zunächst", da ohne militärische Verteidigung der israelische Staat längst nicht mehr existieren würde.
Später drehte L. mehrere Filme auf der Basis von Interviewmaterial, das aus diversen Gründen keine Verwendung in "Shoah" fand. Vom einzigen erfolgreichen Aufstand in einem NS-Vernichtungslager handelt der Film "Sobibór. 14 octobre 1943, 16 heures" (2001), worin der ehemalige Lagerinsasse Yehuda Lerner erzählt, wie er in Sobibór mit der Ermordung eines SS-Offiziers durch einen Axthieb das Fanal zum Aufstand gab. Für L. wurde dieser "mythische Moment" zum Zeichen für die "Wiederinbesitznahme der Gewalt durch die Juden" (vgl. taz, 17.5.2001). Als TV-Beitrag (Arte) erschien 2010 "Le rapport Karski" (dt. "Der Karski-Bericht"), ein Interviewfilm mit dem fr. polnischen Widerstandskämpfer Jan Karski, der 1943 mit hochrangigen Repräsentanten der USA sprach, damals aber mit seinen Augenzeugenberichten aus der Ghetto- und KZ-Realität auf Unglauben stieß.
L.s vielbeachtete Dokumentation
L.s letzte Regiearbeit "Les Quatre Sœurs" (2017; dt.
Buchautor Zu mehreren seiner Filme brachte L. die aufgezeichneten Texte auch in Buchform heraus, darunter "Shoah" mit einem Vorwort von Simone de Beauvoir (1985; dt. 2011). Eine Sammlung von Reportagen, Porträts und weiteren Texten, die er ab 1947 geschrieben und publiziert hatte, erschien 2012 unter dem Titel "La tombe du divin plongeur" (dt. 2015, "Das Grab des göttlichen Tauchers"). Auch zu "Le dernier des injustes" gab L. - unter dem gleichen Titel - 2015 (dt. 2017) ein Buch heraus, das das Interview und Szenen des Films dokumentiert.
L.s Autobiographie "Le lièvre de Patagonie" (2009; dt. 2010, "Der patagonische Hase") eroberte zügig die französischen Bestsellerlisten und wurde von namhaften Magazinen wie Le Point und Lire zum Buch des Jahres gewählt. In Deutschland sprachen Kritiker von einem "Meisterwerk", das "auch eine philosophische Unternehmung" sei (FAS, 17.1.2010). Für DIE ZEIT (16.4.2009) war es "halb Zeitdokument, halb Lebensgeschichte, ein Geschichtsbuch der Moderne, das sich zum Teil wie ein Krimi liest, ein Abenteuerroman, der anrührt, aber auch zum Lachen bringt". Allerdings wurde L. in manchen deutschen Feuilletons auch vorgehalten, die Hintergründe um den Rücktritt
L. war 1952-1959 mit der 17 Jahre älteren Philosophin und Feministin
Am 5. Juli 2018 starb L. im Alter von 92 Jahren in Paris. Neben seiner dritten Ehefrau, der Ärztin Dominique Petithory, die er 1995 geheiratet hatte, hinterließ er seine Tochter Angélique (* 1950). Sein Sohn Félix (* 1993) starb 2017 an Krebs. Beigesetzt wurde L. auf dem Friedhof Montparnasse, in dessen Nähe er auch gewohnt hatte, im gleichen Grab wie sein Sohn.
Filme u. a.: "Élise ou la vraie vie" (70; nur Drehbuch), "Pourquoi Israel" (73; dt. "Warum Israel"),
Bücher:
Dokumentation: "Claude Lanzmann: Spectres of the Shoah" (15; Dokumentarfilm von Adam Benzine; dt. 18, "Claude Lanzmann - Stimme der Shoah", von ARTE ausgestrahlt).
Auszeichnungen u. a.: British Academy Award, Preise d. Filmkritikerverbände v. New York u. Los Angeles (85), Caligari Film Award, FIPRESCI Award, Ehren-César, IDA Award, Rotterdam Award (86), BAFTA Flaherty Documentary Award, Adolf-Grimme-Preis (87), Preis d. Leserjury von "Standard"/Viennale (01), Literaturpreis "DIE WELT" (10), Grand Officier de la Légion d'Honneur (11), Goldener Ehrenbär/Berlinale (13), Cinema Eye Honors Award (14) sowie mehrere Ehrendoktorate.
Mitgliedschaften/weitere Ämter u. a.: Akademie der Künste Berlin (ab 98), Professor für Dokumentarfilm an der Schweizer European Graduate School mit Sommerkursen im Alpenort Saas-Fee (ab 01).