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Abhijit Banerjee

indisch-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler; Nobelpreis (Ökonomie) 2019
Geburtstag: 21. Februar 1961 Kalkutta (heute Kolkata)
Nation: Indien, Vereinigte Staaten von Amerika (USA)

Internationales Biographisches Archiv 49/2019 vom 3. Dezember 2019 (la)
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 42/2020


Blick in die Presse

Herkunft

Abhijit Vinayak Banerjee wurde am 21. Febr. 1961 im indischen Kalkutta (heute Kolkata) als Sohn der Ökonomen Prof. Nirmala (*1936) und Dipak Banerjee (1930-2007) geboren.

Ausbildung

Seine akademische Ausbildung begann B. an der University of Calcutta, an der er 1981 einen Bachelor-Abschluss (B.Sc.) erwarb. An der Jawaharlal Nehru University, New Delhi, erlangte er anschließend seinen Master (M.A.), bevor er 1988 an der Harvard University in Cambridge (US-Bundesstaat Massachusetts) zum Ph.D. in Ökonomie promovierte.

Wirken

Wissenschaftliche KarriereB.s erste Stationen seiner wissenschaftlichen Karriere waren die Princeton University und die Harvard University, wo er 1988-1992 bzw. 1992-1993 jew. eine Assistenzprofessur innehatte. Danach war er ab 1993 als außerordentlicher Professor am renommierten Massachusetts Institut of Technology (MIT) in Cambridge tätig, bevor er 1996 eine ordentliche Professur am MIT erhielt.

Seit 2003 ist B. am MIT "Ford Foundation International Professor of Economics" sowie Direktor des damals von ihm und seiner fr. Doktorandin Esther Duflo gegründeten MIT-Institutes zur Armutsbekämpfung, das "Abdul Latif Jameel Poverty Action Lab" (J-PAL).

Experimentelle Entwicklungsökonomie - RCT-FeldstudienDas J-PAL machte es sich zur Aufgabe, in Zusammenarbeit mit NGOs über ein weltweites Netzwerk von Wissenschaftlern die Ökonomie von Armut und Entwicklung zu erforschen. Den mikroökonomischen Hauptsansatz bildeten dabei Experimente mit zwei Kontrollgruppen (sog. "Randomized controlled trials; RCTs). Diese urspr. aus der Pharmaforschung kommende Methode sollte der Überprüfung der Wirksamkeit von entwicklungspolitischen Maßnahmen dienen. RCTs geben Wissenschaftlern die Möglichkeit, Studien passgenau auf eine Fragestellung hin maßzuschneidern. Bei entsprechenden Feldversuchen u. a. in Indien und Kenia untersuchten B. und Duflo z. B., wie sich Schulbildung und die Gesundheit von Kindern mit kleinen, konkreten Schritten verbessern lässt. So erreichte man etwa bessere Lernergebnisse, wenn Schüler nicht nach Alter in Klassen, sondern nach dem Wissensstand eingeteilt werden. Gleichzeitig konnten über die RCTs andere Paradigmen der Entwicklungshilfe wie die vielfach als Allheilmittel gepriesenen Mikrokredite widerlegt werden: Diese seien im Kampf gegen die Armut oftmals kaum hilfreich (vgl. u. a. SZ, 27.4.2013: "Was wirklich wirkt"; SZ, 16.5.2015: "Eine andere Sicht auf die Armut").

Ihre Forschungsergebnisse und 15-jährigen Erfahrungen beim Thema Armutsbekämpfung fassten B. und Duflo 2011 in ihrem preisgekrönten Buch "Poor Economics" zusammen, das in 17 Sprachen übersetzt und zu einem Bestseller wurde (vgl. auch WELT-Interview, 12.4.2012: "Ein Fernseher kann wichtiger sein als Essen").

War die Entwicklungsökonomie lange eher eine Außenseiterdisziplin der Wirtschaftswissenschaften, so führte nicht zuletzt die Forschungsarbeit von B. und Duflo zu einem Boom des Zweiges und besonders der RCTs, denen sich ein Netzwerk aus Institutionen verschrieb. Zu den größten intellektuellen und finanziellen Förderern zählten bald die Stiftung des Microsoft-Gründers Bill Gates und seiner Frau Melinda Gates sowie die Weltbank. Die Zahl der weltweit durchgeführten J-PAL-Feldstudien und -Wirkungsanalysen erreichte über 950 (ingesamt wurden 2.900 gezählt), dazu stieg die Zahl der für das J-PAL weltweit in über 80 Ländern tätigen Ökonomen und Soziologen auf über 180 (Stand: 2019).

Unumstritten blieben die RCT-Wirkungsanalysen in Fachkreisen allerdings nicht, weil sich die Ergebnisse von Zufallsexperimenten nach Kritikermeinung aufgrund unterschiedlicher regionaler Gegebenheiten und Traditionen, die menschliche Verhaltensweisen beeinflussten, nicht automatisch verallgemeinern und übertragen ließen. So kritisierte der Nobelpreisträger und Entwicklungsökonom Angus S. Deaton, die Stichproben seien für verlässliche Aussagen zu klein ("Was in Kenia funktioniert, muss noch lange nicht in Mali funktionieren"; ZEIT, 17.10.2019). Ein weiteres Problem machten Skeptiker wie Joseph E. Stiglitz darin aus, dass sich strukturelle Ursachen von Armut durch Feldstudien nur schwer identifizieren ließen, der experimentelle Ansatz beleuchte makroökonomische Aspekte und Verteilungsfragen nicht ausreichend (vgl. ZEIT, ebd.; zur Kritik an den RCT vgl. auch FAZ, 28.10.2019).

Nobelpreis 2019Im Okt. 2019 wurde B. zusammen mit Duflo und dem Harvard-Kollegen Michael Kremer der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften zuerkannt. Das Trio erhielt die Auszeichnung für seinen "experimentellen Ansatz zur Linderung der globalen Armut". Ohne B., Duflo, und Kremer "wüsste die Welt viel weniger darüber, wie man Armut effektiv bekämpfen kann", hieß es in der Süddeutschen Zeitung (15.10.2019). Die drei Forscher seien nicht zuletzt "Paradebeispiele für den gesellschaftlichen Nutzen und die Relevanz der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung" (derstandard.at, 14./15.10.2019: "Wirtschaftsnobelpreis für zwei Installateure").Trotz der Skepsis darüber, inwieweit die wissenschaftliche Entwicklungspolitik durch die Forschungsmethoden der Preisträger unter dem Verzicht auf "große Theorien" zukünftig umgekrempelt und nachhaltig geprägt werde, zwinge die Methode der vergleichenden Feldversuche Ökonomen dazu, "vor Ort die wirklichen Probleme und das Klein-Klein der wirtschaftlichen Entwicklung kennenzulernen. Solche Reisen bilden manchmal mehr als das Nachdenken im Elfenbeinturm", analysierte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (20.10.2019).

B. ist nach Amartya Sen der zweite indischstämmige Wirtschaftsnobelpreisträger. Zudem sind B. und Duflo das erste mit diesem Preis ausgezeichnete Ehepaar.

Familie

B. ist seit 2015 in zweiter Ehe mit Esther Duflo verheiratet. Das Paar hat zwei Kinder (Noémie, geb. 2012, und Milan, geb. 2014). Seit 2017 ist B. US-Staatsbürger.

Werke

Veröffentlichungen: "Volatility and Growth" (05), "Understanding Poverty" (06; Mit-Hrsg.), "Making Aid Work" (07), "Poor Economics: A Radical Rethinking of the Way to Fight Global Poverty" (11; mit Duflo; dt. "Plädoyer für ein neues Verständnis von Armut" bzw. "Kampf gegen die Armut", 12/13), " "Handbook of Field Experiments" (17; Band 1+2; mit Duflo), "Good Economics for Hard Times" (19; dt. "Gute Ökonomie für harte Zeiten. Sechs Überlebensfragen und wie wir sie besser lösen können"; mit Duflo).

Dokumentationsfilme: "The Name of the Disease" (06), "The Magnificent Journey: Times and Tales of Democracy" (19; mit Ranu Ghosh).

2020: Abhijit Banerjee/Esther Duflo: "Gute Ökonomie für harte Zeiten. Sechs Überlebensfragen und wie wir sie besser lösen können". Aus dem Englischen (2020).

Auszeichnungen

Auszeichnungen (u. a.): Alfred P. Sloan Fellow (94-96), Fellow Econometric Society (seit 96), Guggenheim Fellow (00), Fellow American Academy of Arts (seit 04); Infosys Award in Social Sciences (09), Ehrendoktor Universität Leuven (14), Bernhard-Harms-Preis des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW; 14), Albert O. Hirschman-Preis (14), Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften (19).

14. Oktober 2019: Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm gibt bekannt, dass der Nobelpreis für Wirtschaft zu gleichen Teilen an den indisch-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Abhijit Banerjee (Massachusetts Institute of Technology/MIT), seine Ehefrau, die französische Entwicklungsökonomin Esther Duflo (MIT), und den amerikanischen Ökonomen Michael Kremer (Havard University) für ihren "experimentellen Ansatz zur Linderung der globalen Armut" geht. Der mit insgesamt umgerechnet 830.000 Euro dotierte Preis wird am 10.12. in Stockholm verliehen.

Oktober 2020: Abhijit Banerjee und Esther Duflo wird für ihr Buch "Gute Ökonomie für harte Zeiten" der mit 10.000 Euro dotiete Deutsche Wirtschaftsbuchpreis 2020 zugesprochen.

Mitgliedschaften

Weitere Ämter/Mandate (u. a.): U.N. Secretary-General’s High-level Panel of Eminent Persons on the Post-2015 Development Agenda (ab 12); Consortium on Financial Systems and Poverty (CFSP); Board of Directors Bureau for the Research in the Economic Analysis of Development (BREAD); Trustee Save the Children (USA, seit 16).

Adresse

c/o Massachusetts Institute of Technology (MIT), Department of Economics, 50 Memorial Drive, E52-300, Cambridge, MA 02142, U.S.A., Tel.: +1 617 253-8855, E-Mail: banerjee@mit.edu, Internet: https://economics.mit.edu

c/o Poverty Action Lab (J-PAL), 400 Main Street, E19-201, Cambridge, MA 02142, U.S.A., Tel.: +1 617 3246566, E-Mail: info@povertyactionlab.org, Internet: www.povertyactionlab.org



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