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MUNZINGER Personen

Christian Levrat

Schweizer Politiker; Ständerat; Vorsitzender der SP (2008-2020)
Geburtstag: 7. Juli 1970 La Tour-de-Trême/Kanton Fribourg
Nation: Schweiz

Internationales Biographisches Archiv 12/2020 vom 17. März 2020 (jb)
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 13/2021


Blick in die Presse

Herkunft

Christian Levrat wurde am 7. Juli 1970 im Dorf La Tour-de-Trême im Westschweizer Kanton Fribourg (FR) geboren. Sein Vater führte eine Autowerkstatt und hing der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) an.

Ausbildung

L. studierte an der Universität Fribourg Jura und schloss dort mit dem Lizenziat (lic. iur.) ab. An der britischen University of Leicester wurde ihm der Master-Titel in Politikwissenschaften verliehen. Ferner erhielt er ein Diplom des Verbandsmanagementinstituts der Universität Fribourg. Sein Studium finanzierte er auch als LKW-Fahrer mit Abschleppdiensten für den Touringclub der Schweiz (TCS).

Wirken

Frühes politisches EngagementL. betätigte sich schon früh politisch und gründete als Gymnasiast 1985 eine Jugendsektion der liberalen FDP, die er vier Jahre später wieder verließ, weil die Partei eine Initiative zur Abschaffung der Armee nicht unterstützte. Beeinflusst durch die von Dominikanern geleiteten Philosophie-Kurse an der Universität Fribourg arbeitete L. schon als Student für die katholische Hilfsorganisation "Caritas". Ende der 1980er Jahre baute er eine Solidaritätsgruppe für die Dritte Welt auf. Nach eigenen Aussagen wurde er erst in den späteren 1980er Jahren durch die Ereignisse in Polen um die unabhängige Gewerkschaft Solidarność (gegr. 9/1980) richtig politisiert. 1989 transportierte er mit einem Lastwagen-Konvoi zur Unterstützung der Gewerkschaftsbewegung Hilfsgüter in das Land. Für die Hinwendung zum Sozialismus waren jedoch, so L., die Erfahrungen, die er während seines Studienaufenthaltes in England machte, ausschlaggebend. Das Land wurde zu dieser Zeit durch die Auswirkungen der wirtschaftsliberalen Reformen der langjährigen Premierministerin Margaret Thatcher (1979-1990) geprägt. Als seine eigenen politischen Vorbilder bezeichnete L. die französischen Sozialisten Léon Blum (1872-1950) und Pierre Mendès France (1907-1982).

Beginn der politischen Karriere in SP und SGBNach seinem Studium übernahm der junge Jurist von 1998-2000 die Leitung des Rechtsdienstes der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH; frz.: OSAR) in Bern. Im Vorfeld der Wahl zum Verfassungsrat seines Heimatkantons schloss er sich 2000 der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP; frz.: Parti socialiste suisse/PSS) an, die seit 1959 eine gemäßigt linke Politik vertrat. Für die SP zog L. in die Fribourger Konstituante ein, wo er als Vorsitzender der SP-Gruppe fungierte und in der Kommission für Grundrechte/-pflichten und Sozialziele tätig war.

Im Jahr 2001 wurde L. zudem als Zentralsekretär bei der Gewerkschaft Kommunikation (GeKo) tätig, die Arbeitnehmer in den Sparten Post, Logistik, Telekommunikation, IT und Flugsicherung vertritt. Anfang 2003 stieg er dort zum Präsidenten auf. Außerdem übernahm er hinter Paul Rechsteiner (SP) eine Vizepräsidentschaft des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB, frz. USS), dem Dachverband von damals 15 Einzelgewerkschaften mit rd. 380.000 Mitgliedern, wovon die GeKo mit rd. 36.000 das drittgrößte Kontingent stellte. Mit dem neuen GeKo-Führer bekam es v. a. Post-Chef Ulrich Gygi (SP) zu tun. Dieser geriet durch die sozialen Folgekosten seiner Unternehmenspolitik in die Kritik der Gewerkschaften, so dass es regelmäßig unter L.s Ägide zu Protestaktionen gegen die Post kam.

Nationalrat im Schweizer ParlamentNach der Parlamentswahl vom Okt. 2003 zog L. erstmals für die SP in die große Kammer des eidgenössischen Parlaments, den Nationalrat, ein. Die Wahl war nach einhelliger Kommentatorenmeinung ein Debakel für die politische Mitte der Schweiz. Denn stärkste Kraft wurde überraschend die unter dem Zürcher Rechtspopulisten Christoph Blocher national-konservativ gewandelte Schweizer Volkspartei (SVP) mit 26,7 % der Stimmen und 55 (+11 gegenüber 1999) von insgesamt 200 Mandaten. Die SP kam mit 23,3 %, und 52 Sitzen nur noch auf Platz zwei. Innerparteilich wurde die SP zu dieser Zeit durch Flügelkämpfe gelähmt, die auch unter dem im März 2004 zum Vorsitzenden gewählten Nationalrat Hans-Jürg Fehr nicht vollends befriedet werden konnten. Bei der Nationalratswahl im Okt. 2007 mussten die SP mit 19,5 % (-3,8 %) der Stimmen und 43 (-9) Mandaten - eines davon hielt L. -, erneut herbe Verluste hinnehmen, während die SVP (29 %, 62 Sitze) sich als stärkste Kraft festigte.

Wahl zum SP-Vorsitzenden 2008Als Konsequenz aus dem schlechten Abschneiden kündigte Fehr am 26. Okt. 2007 seinen Rücktritt vom Parteivorsitz an. Am 1. März 2008 wurde der damals 37-jährige L. auf einem außerordentlichen Parteitag in Basel per Akklamation an die Spitze der SP Schweiz gewählt. Im Sept. 2008 gab er seine Funktionen beim SGB (s. o.) ab.

Der als undogmatisch geltende L. übernahm mit der SP und ihren 30.000 Mitgliedern die personell kleinste der vier Regierungsparteien des Schweizer Konkordanzsystems (SP, FDP, CVP, SVP). Schon im Vorfeld wurde berichtet, dass der Gewerkschafter aus der Sozialdemokratie "wieder jene kämpferische Bewegung machen (wolle), die sie früher war" (vgl. TA, 21.11.2007). Er hatte sich außerdem bereits nach der Wahl 2007 als kluger Strippenzieher bewiesen, der die überraschende Abwahl des SVP Bundesrates Blocher mit eingefädelt hatte. L. führte die Partei in der Folge auf einen Linkskurs, bei dem politische Ziele vor allem im Bündnis mit anderen Parteien aus dem linken Spektrum, vor allem den Grünen, erreicht werden sollten.

Die Bilanz des ersten Jahres als Parteivorsitzender fiel parteiintern positiv aus: L. habe mit seiner Mischung aus linker Rhetorik und pragmatischer Politik begeistern und das durch die Niederlagen angegriffene Selbstbewusstsein der Sozialdemokraten wieder stärken können (vgl. TA, 4.2.2009). Auch bundespolitisch versuchte die SP, Profil zurückzugewinnen, verhinderte u. a. eine Rentenreform, die auch von der SVP abgelehnt wurde, und kippte im Juni 2010 im Nationalrat mit den Grünen und wiederum mit der SVP das UBS-Abkommen zur Datenweitergabe mutmaßlicher Steuerhinterzieher an die USA. Ihr linkes Profil schärfte die SP außerdem mit von ihr angestoßenen Initiativen zur Begrenzung von Managergehältern oder mehr Steuergerechtigkeit. Auf einem Programmparteitag Ende Okt. 2010 in Lausanne beschloss die SP mit 420 gegen nur fünf Stimmen bei 15 Enthaltungen ein neues Parteiprogramm, das einen deutlichen Linkskurs der Partei markierte und sich an linke Traditionswähler richtete. Gefordert wurde u. a. die Überwindung des Kapitalismus, die Abschaffung der Armee und die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.

Nationalrats- und Bundesratswahl 2011Bei der Nationalratswahl im Okt. 2011 schien der Niedergang der SP zumindest gestoppt. Trotz geringfügiger Verluste (18,7 %) gewann die Partei mit insgesamt 46 Sitzen drei Mandate hinzu und wurde erneut zweitstärkste Kraft hinter der SVP (26,6 %, 54 Sitze). Für besondere Aufmerksamkeit sorgte der Sieg von SP-Kandidat Paul Rechsteiner im Kanton St. Gallen, der sich gegen den SVP-Chef Toni Brunner durchsetzte. Auch die FDP (15,1 %, 30 Sitze), die CVP (12,3 %, 28 Sitze) sowie die Grünen (GPS, 8,4 %, 15 Sitze) hatten Einbußen zu verzeichnen. Stark zulegen konnten die Grünliberalen (GLP) um vier Prozentpunkte auf 5,4 % und 12 Sitze (+9) sowie die SVP-Abspaltung BDP, die es ebenfalls auf 5,4 % und neun Mandate brachte.

Bei der Wahl der Bundesräte im Dez. 2011 erhielt die SP dann mit dem Departement für Inneres (EDI) wieder ein Schlüsselressort. L. war es gelungen, links der zersplitterten Mitte eine Mehrheit in der Vereinigten Bundesversammlung (dem aus zwei Kammern - National- und Ständerat - bestehenden Schweizer Parlament) zu installieren. Alain Berset, den die Neue Zürcher Zeitung als L.s "politischen Zwilling" (16.12.2011) bezeichnete und mit dem er nach den Wahlen 2007 maßgeblich den Sturz des umstrittenen SVP-Bundesrates Christoph Blocher vorbereitet hatte, wurde so bereits im zweiten Wahlgang als Nachfolger von Didier Burkhalter (FDP), der ins Außenamt wechselte, zum neuen Bundesrat gewählt. Den Erfolg der SP schrieben Beobachter vor allem L.s taktischem Geschick und Machtinstinkt zu; die Neue Zürcher Zeitung (ebd.) schrieb von einem "Powerplay des Christian Levrat". Einen weiteren Erfolg konnte L. verbuchen, als er als Nachfolger von Berset im März 2012 bereits im ersten Wahlgang für den Kanton Freiburg in den Ständerat gewählt wurde. Auf einem Parteitag der SP im Sept. 2012 in Lugano wurde L. als Parteivorsitzender im Amt bestätigt. Die Jahre 2011-2015 gelten als die erfolgreichsten Jahre L.s als Parteichef, in denen es ihm gelang, durch geschickte Bündnisse und parlamentarisches Taktieren Erfolge für seine Partei zu reklamieren. Inhaltlich grenzte sich die Partei unter L. nach rechts mit Positionen wie dem Festhalten an der Personenfreizügigkeit mit der EU oder der Ablehnung weiterer Verschärfungen von Asylregeln ab. Im Zentrum der eigenen Agenda standen vor allem wirtschaftspolitische Themen, die um die Stellung der Arbeitnehmer kreisten.

Nationalrats- und Bundesratswahl 2015Das Ergebnis der Nationalratswahlen 2015 fiel für die SP jedoch ernüchternd aus, da das rechte Lager stärker an Stimmen gewann, während die SP erneut knapp unter der 19%-Marke stagnierte. Wegen der erstarkten SVP (29,4 %) musste L. sogar um seinen Sitz im Ständerat bangen, konnte sich aber im Nov. 2015 im zweiten Wahlgang durchsetzen. Bei der Wahl der Bundesräte im Dez. 2015 behielten die SP-Vertreter Berset (EDI) und Simonetta Sommaruga (EJPD) ihre Ressorts. In der folgenden Legislaturperiode bestätigte L. seinen Ruf, nicht der stärkste Wahlkämpfer, jedoch ein geschickter Parlamentarier und Parteipolitiker zu sein. Trotz des Übergewichts des rechten Lagers gelang es ihm, die häufige Uneinigkeit zwischen SVP und FDP auszunutzen und durch die langfristig etablierten Bündnisse mit den anderen Mitte-Links-Parteien eigene Inhalte zur Geltung zu bringen. Als besonders wichtig erwies sich dabei das Zusammenwirken mit den Grünen und der bürgerlichen CVP, wodurch etwa die sog. Energiewende (langfristige Umstellung auf regenerative Energieversorgung) oder Reformen in der Alterssicherung beschlossen werden konnten.

Innerparteilich traten die alten Flügelkämpfe wieder zum Vorschein, die auch durch die von L. beförderte stärkere Einbindung der Jusos, der Nachwuchsorganisation der SP, verschärft wurden. Während der Parteinachwuchs und der linke Flügel bei inhaltlichen Forderungen auch grundsätzliche Kapitalismuskritik übten, wurde dies vom sozialliberalen Parteiflügel als überkommene Klassenkampfrhetorik abgelehnt, mit der Wähler aus der bürgerlichen Mitte verprellt würden. L. strebte bewusst eine klare linke Profilierung der SP an. In seiner Funktion als Ständerat, wo gemäß den ungeschriebenen Regeln der Schweizer Politik parteipolitische Zurückhaltung erwartet wird, gelang es ihm, zugleich parteiübergreifende Anerkennung als kompetenter Verhandlungspartner zu erfahren.

Nationalrats- und Bundesratswahl 2019Auch das Ergebnis der Nationalratswahlen am 20. Okt. 2019 wurde von der SP erneut als herbe Niederlage empfunden. Entgegen positiver Erwartungen vor der Wahl gelang es der Partei nicht, von der klar erkennbaren Linkswende im Land zu profitieren. Die Partei fiel auf 16,8 % der Stimmen ab und erreichte 39 Sitze (-4). Die stärksten Zugewinne verzeichneten dagegen die Grünen (GPS) mit 13,2 % (+6,1%) und die Grünliberalen mit 7,8 % (+3,2 %). Die rechte SVP blieb zwar stärkste Partei (25,6 %; 53 Sitze), verlor aber 12 Mandate. Die FDP wurde drittstärkste Kraft mit 15,1 % (-1,3 %), die CVP erhielt 11,4 % (-0,2 %).

Parteiinterne Kritiker L.s machten nach der Wahl u. a. den Linkskurs für das schwache Abschneiden verantwortlich. Pressekommentatoren wiesen aber darauf hin, dass sich vor allem dezidiert linke Kandidaten der SP durchgesetzt hatten (vgl. NZZ, 22.10.2019). Als Ursache für die Stimmverluste wurde dagegen ausgemacht, dass es L. und der SP nicht gelungen sei, das aktuelle Thema Ökologie und Klimaschutz glaubhaft zu besetzen, was den Erfolg der Grünen erkläre (vgl. TA, 23.10.2019).

L. wurde bei den Ständeratswahlen im zweiten Wahlgang am 10. Nov. 2019 erneut für den Kanton Fribourg in die zweite Parlamentskammer gewählt. Zwei Tage nach der Wahl kündigte er seinen Rücktritt vom Parteivorsitz für April 2020 an. Dieser Schritt war zuvor aufgrund des Wahlergebnisses und seiner langen Amtszeit erwartet worden. Im März 2020 verschob die SP ihren in Basel geplanten Parteitag allerdings vor dem Hintergrund der Corona-Krise auf Okt. 2020. Bis dahin sollte L. im Amt bleiben.

17. Oktober 2020: Auf einem wegen der Coronavirus-Pandemie virtuell abgehaltenen Parteitag der sozialdemokratischen SP werden Mattea Meyer und Cédric Wermuth zur neuen Doppelspitze gewählt. Sie lösen den nicht wieder angetretenen Christian Levrat ab, dessen Rückzug sich wegen der Coronakrise verzögert hat.

31. März 2021: Der Bundesrat schlägt Christian Levrat als neuen Verwaltungspräsidenten der Schweizerischen Post AG vor. Seine offizielle Ernennung wird am 27.4.2021 stattfinden.

Familie

L. ist verheiratet und hat drei Kinder. Die Familie ließ sich im Dorf Vuadens (FR) nieder.

Mitgliedschaften

Weitere Mitgliedschaften/Ämter u. a.: L. trat der Gruppe "Schweiz ohne Armee" bei und war ab 2005 Präsident des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks (SAH; frz.: OSEO) im Kanton Fribourg.

Adresse

Route des Colombettes, 1628 Vuadens/Kanton Fribourg, Schweiz, Tel.: +41 26 9120-506, E-Mail: christian.levrat@bluewin.ch, Internet: www.levrat.ch

c/o Sozialdemokratische Partei der Schweiz, Spitalgasse 34, 3001 Bern, Schweiz, Tel.: +41 31 3296969, Internet: www.sp-ps.ch



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