Geburtstag: | |
Nation: | Deutschland |
von Michael (Merzenich) Braun
Stand: 15.05.2022
Ein Schlüsseltext für Ulrike Draesners literarisches Selbstverständnis ist der Essay „Möblierte Mädchen“ (2001), in dem Ingeborg Bachmann, sozusagen avant la lettre, als die „erste Medienautorin in Deutschland“ vorgestellt wird. Die Erklärung für Bachmanns literarischen Erfolg findet Draesner in dem komplexen Wechselspiel zwischen literarischen Selbstbildern und medial gesteuerten Fremdbildern. Bachmann sei – auf dem berühmten „Spiegel“-Cover vom 18. 8. 1954 und in dem dazugehörigen Bericht – dergestalt als exemplarische Vertreterin eines „Elegischen Nachwuchses“ präsentiert worden, dass sich das Bild der Dichterin leicht mit den gesellschaftlichen Rollenerwartungen treffen konnte: „Hineingeschoben werden also Möbel in die Dichterin, damit wir sie beziehen können und es uns in ihr behaglich wird.“ Die am Beispiel von Bachmann angesprochenen Probleme stehen auch im Zentrum von Ulrike Draesners Werken: das Verhältnis von Mythos und Biografie, das Wechselspiel der Geschlechterrollen, der Umgang mit Öffentlichkeitsbildern von Frauen und traditionellen Dichterinnenklischees, die Rolle der Sprache im (bio-)technischen Zeitalter, in dem sich „Codierungs- und Entzifferungsweisen radikal verändert“ haben.
Gedichte zu schreiben begann Ulrike Draesner, als sie als 22-Jährige nach der Rückkehr von ihrem Studienaufenthalt in Oxford im Deutschen über phonetische Überlagerungen und semantische Doppeldeutigkeiten stolperte: ...