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Nation: | Schweiz |
von Riki Winter, Martin Zingg und Esther Köhring
Stand: 15.09.2023
„Ich habe nie an das Fabulieren einer kontinuierlichen Entwicklung geglaubt“, bekundet Gertrud Leutenegger in ihrem Roman „Ninive“ und setzt damit die Reflexion über die eigene poetische Theorie, die sie in ihrem zuerst veröffentlichten Roman „Vorabend“ anstellt, fort. „Mein Thema ist“, heißt es dort, „daß ich keines habe (…). Um jeden fixen Gedanken gerinnt die Welt. Ich hab Angst vor den geronnenen, erstarrten Dingen.“ Also schreibt sie keine „pfeilgenau umschlossenen, schlagenden Geschichten“. Leuteneggers Prosa gleicht eher einer an einem feinen Faden gesponnenen Sammlung von Eindrücken, Erinnerungen, Nachdenklichkeiten und Traumsequenzen, die sich zerstäuben, fortsetzen und ineinander greifen. Dass sich daraus auch eine Geschichte ergibt, nämlich die Geschichte eines sensiblen und wachen Bewusstseins, das sich seiner Identität erst durch ununterbrochenes Räsonieren versichern muss, ist das Verdienst eines subtilen Konstruktionsprinzips. Auf diese Weise werden disparate Erfahrungen und Erlebnisse zu einer Kontinuität gebunden, die – ihrer scheinbaren Anarchie zum Trotz – ihre Logik in der subjektiven Historie des Welterkennens hat. Es scheint, als ließe sich die Autorin von nahezu beliebigen Menschen, Gegenständen, Stimmungen affizieren: „Jeder so zufällige Klang eines Namens ist ...