Geburtstag: | |
Nation: | Syrien |
von Stefan Weidner
“Nehmt Platz, und ich gebe euch Kunde vom Rauch”, beginnt Adonis' Langgedicht “al-Madāʾa” (Die Nargileh) aus dem Band “ʾAbǧadīya ṯāniya” (Ein zweites Alphabet, 1994). An diesem Text, sicherlich ein Höhepunkt seines Schaffens, lassen sich der Gehalt und die poetische Verfahrensweise der Dichtung des Syro-Libanesen beispielhaft darstellen. Die kulturelle Osmose zwischen Orient und Okzident, die sein Werk prägt, wird hier direkt thematisiert: “Wollt ihr den Osten kennen? Dann lernt den Westen kennen.” Weil der umgekehrte Fall ebenso zutrifft, ist die Dichtung von Adonis, die seit den sechziger Jahren eine herausragende Stellung in der zeitgenössischen arabischen Literatur einnimmt, auch für westliche Leser von Interesse. Adonis ist gleichermaßen von abendländischer wie von orientalischer Literatur geprägt, und er bezieht sein großes internationales Renommee nicht zuletzt daher, daß seine Gedichte auch in Übersetzungen Wesentliches von ihrem Reiz bewahren. Gleichwohl ist der eigentliche Adressat seiner Dichtung, ihr Gegenstand und Nährboden, die arabische Welt. Eine Rezeptionshaltung, die die autochthonen Rahmenbedingungen dieser Literatur verkennt, wird auch ihre universale Bedeutung nicht angemessen erfassen können – fast jedes seiner längeren Gedichte bedarf im Fall der Übertragung sprachlicher und kulturhistorischer Erläuterungen. Dies gilt besonders für “al-Madāʾa”.
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